Mangelndes Selbstbewusstsein kann man Peter Hoeres nicht vorwerfen. Seit 2013 hat er an der Uni Würzburg den Lehrstuhl für Neueste Geschichte inne. Die eingeworbenen Drittmittel seien überdurchschnittlich hoch, ebenso die Zahl der Publikationen und deren gute Kritiken in Fachkreisen, sagt der Professor. Er schreibt gerne in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und für „Cicero“, er gilt als meinungsstark und mag verbale Zuspitzungen. Doch Hoeres hat ein Problem – Studierende werfen seinem Lehrstuhl eine „neurechte Diskursverschiebung“ vor.
Die Fronten in der Auseinandersetzung sind schnell geklärt: Hoeres spricht von einer „politischen Kampagne“ gegen ihn und vor allem gegen seinen Mitarbeiter Benjamin Hasselhorn. Die Kritik des Studierendenparlaments laufe völlig ins Leere, die Studentinnen und Studenten seien sehr zufrieden, nie sei Kritik direkt an sie herangetragen worden. Das Studierendenparlament schreibt in einem Beschluss vom 12. März, an Hoeres’ Lehrstuhl nehme die Neue Rechte mit ihren Haltungen „Einfluss auf die Lehre“. Auch gebe es Lehrpersonal mit „Kontakten in offen rechtsextreme Kreise“.
Peter Hoeres nimmt sich in diesen Tagen viel Zeit für Medienanfragen. Das betont der Historiker im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Und er beklagt, dass seine eigentlichen Aufgaben in Forschung und Lehre wegen der Anschuldigungen der Studierenden derzeit zu kurz kommen. Hoeres spricht von Fürsorgepflicht. Von der, die er für seinen wissenschaftlichen Mitarbeiter habe. Und von jener, die er seitens der Würzburger Universitätsleitung aktuell vermisst. Der Geschichtsprofessor sieht sich als Verteidiger der bedrohten Wissenschafts- und Meinungsfreiheit.
Die Sache ist diffizil. Hoeres ist konservativ, politisch wie geschichtswissenschaftlich. Er nehme eben auch Positionen ein, an denen sich andere reiben, sagt er: In der homogenen Community der Geschichtswissenschaft sei das nicht so schwer. Renommierte Kolleginnen und Kollegen wie der Marburger Professor Eckart Conze attestieren Hasselhorn revisionistische Positionen, Hoeres wiederum bewege sich „immer weiter nach rechts“. Hoeres hält das alles für eine Retourkutsche, sagte er der Würzburger „Main-Post“, weil „man“ ein Buch von Conze kritisch besprochen habe.
Ein normaler, wenn auch nicht allzu sachlicher Streit unter Historikern, könnte man meinen. Doch bei Hasselhorn liegt die Sache etwas anders. Seit Jahren steht er immer wieder wegen angeblicher Kontakte in rechte Kreise in der Kritik. 2020 war Hasselhorn von der CDU/CSU im Streit um die Entschädigung der Hohenzollern als Sachverständiger in den Bundestags-Kulturausschuss geladen worden. Die „Süddeutsche Zeitung“ kommentierte Hasselhorns Berufung „etwas überraschend“, die „taz“ attestierte ihm, die Adels-Beteiligung am Aufstieg der Nationalsozialisten „kleinzureden“.
Das eigentliche Problem machten die Medien damals – und macht das Würzburger Studierendenparlament heute – aber nicht in diesen Positionen Hasselhorns aus. Es geht um seine Autorenschaft in Zeitschriften wie der „Blauen Narzisse“ oder der „Sezession“, die zum neurechten Spektrum gehören – letztere wird heute vom Verfassungsschutz beobachtet, zum Zeitpunkt von Hasselhorns Veröffentlichungen war das noch nicht so. In der „Sezession“ publizierte er unter dem Pseudonym Martin Grundweg. Nach eigenen Angaben hatte er seit 2014 keinen Kontakt mehr dorthin.
Es sind allerdings mitnichten nur „linke“ Studierende, die sich an Hasselhorn reiben. Johann Hinrich Claussen, der Kulturbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), hatte schon vor Jahren im evangelischen Magazin „zeitzeichen“ einen Artikel über evangelische Theologie und Neue Rechte geschrieben – und darin etwa auch Hasselhorn erwähnt. Denn der ist eben nicht nur promovierter Historiker, sondern auch promovierter evangelischer Theologe. Im Reformations-Jubeljahr 2017 hat er maßgeblich eine Luther-Ausstellung in Wittenberg kuratiert.
Claussen unterstellt Hasselhorn ein „Ehrlichkeitsproblem“, weil er unter Klarnamen in „Medien und Verlagen mit gutem Ruf“ veröffentliche und behaupte, nichts mit der Neuen Rechten zu tun zu haben – gleichzeitig aber „unter Pseudonym in deren unmittelbarer Nähe“ publiziere. Hasselhorn und andere wechselten willkürlich zwischen Opfer- und Täterrolle hin und her. „Sie greifen andere heftig an, stimmen aber bei sachlicher Gegenkritik sofort die Wehklage der verfolgten Unschuld an“, urteilte Claussen. Vertretern der Neuen Rechten attestierte der EKD-Mann „weinerlichen Heroismus“.
Hasselhorn, seit 2019 an der Uni Würzburg, will selbst nicht mit Journalisten sprechen – er verschickt stattdessen auf epd-Anfrage ein vorbereitetes, knapp anderthalbseitiges Medien-Statement. Er weist nahezu alle Vorwürfe zurück, die in den Medien oder von Studierenden erhoben wurden. „Weder ich noch irgendjemand sonst an unserem Lehrstuhl steht personell oder inhaltlich der ‘Neuen Rechten’ nah“, schreibt Hasselhorn: „Das ist Unsinn.“ Er sieht sich als Opfer einer „politischen Kampagne“, die „abstruse Verschwörungserzählungen“ rund um ihn als Person konstruiere.
Dass sich Hoeres trotz dieser jahrelangen Kritik an Hasselhorn nun als Chef vor ihn stellt, ist bemerkenswert, weil es – wie der Würzburger Universitätsprofessor selbst sagt – etliches an Zeit und Nerven kostet. Damals, als Hasselhorn die umstrittenen Zeitschriften-Beiträge teilweise unter Pseudonym verfasst hat, kannten sich die beiden laut Hoeres gar nicht. Die Kritik der Studierenden an Teilen seines Personals subsumiert der Historiker in der „Main-Post“ unter dem Begriff „Cancel Culture“, also dem Mundtotmachen von Aussagen, die nicht der Mehrheitsmeinung entsprechen.
Zu solchen Wortmeldungen gehört etwa, dass er die Bundeszentrale für Politische Bildung unlängst als „linksgrüne Vorfeldorganisation“ bezeichnete, laut der „Süddeutschen Zeitung“ bescheinigte Hoeres der AfD 2019 in einer Rede, die einzige Partei zu sein, die sich „offen zum Konservatismus bekennt“. Und: Vergangenes Jahr wollten Björn Höckes Anwälte Hoeres als Sachverständigen vor Gericht laden, damit er darlegt, dass die Nazi-Parole „Alles für Deutschland“ auch in anderen Zusammenhängen verwendet wurde. Von den Plänen wusste Hoeres laut eigener Aussage nichts.
Vor einigen Jahren hat Hoeres das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit mitbegründet, das gegen eine Beschneidung von Forschung und Lehre „aus ideologischen Motiven“ kämpft. „Ich fühle geradezu eine Pflicht, mich in Debatten zu Wort zu melden, wenn andere nicht die Wahrheit sagen“, sagt Hoeres. Einige Personen, die mit ihm beruflich zu tun hatten, sehen das etwas anders. Einer sagte auf epd-Anfrage, ohne namentlich genannt werden zu wollen: „Er lechzt geradezu danach, dass man ihn kritisiert – dann kann er wieder laut krakeelen und über die ‘Cancel Culture’ klagen.“