Ein ganzes Jahr verbrachte Erzbischof Gänswein im Heimatbistum Freiburg ohne offizielle Aufgabe. Die vom Papst angeordnete Auszeit war aber keine Endstation. Nun ernannte ihn Franziskus zu seinem Botschafter im Baltikum.
Nach Monaten des Wartens und manchen Spekulationen in den Medien ist es nun offiziell: Erzbischof Georg Gänswein (67), langjähriger Privatsekretär von Kardinal Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI., wird Apostolischer Nuntius für Litauen, Lettland und Estland. Damit endet eine ungewöhnliche Auszeit. Ein Jahr lang war der international bekannte und erfahrene Kirchenmann zum Nichtstun abgestellt.
Die von Papst Franziskus verfügte Zeit in seinem Heimatbistum Freiburg war zwar nie offiziell als Strafe deklariert. Doch faktisch ließ das Kirchenoberhaupt keinen Zweifel daran, dass sie so gemeint war. Im Kern ging es um eine Buchveröffentlichung, die Franziskus missfiel.
Schon einmal, im Jahr 2020, hatte der Papst den Deutschen degradiert. Damals entzog er ihm die protokollarischen Aufgaben als “Präfekt des Päpstlichen Hauses”, der im Vatikan unter anderem die Staatsgäste empfängt. Er wies ihn an, sich ganz auf die Betreuung des altersschwachen Ex-Papstes Benedikt XVI. zu konzentrieren. Anlass war ein Buch über den Zölibat, das als Einmischung des ehemaligen Papstes in die Lehrentscheidungen seines Nachfolgers gedeutet werden konnte. Dass Gänswein die Turbulenzen um das Buch nicht verhinderte, führte zu dieser ersten Herabstufung.
Die zweite folgte wenige Monate nach dem Tod von Benedikt XVI. Im Juni 2023 warf Franziskus den 20 Jahre jüngeren Gänswein faktisch aus dem Vatikan und wies ihn an, in sein Heimatbistum zurückzukehren. Wieder war ein Buch der Auslöser: Nur wenige Tage nach dem Tod des Alt-Papstes waren Memoiren erschienen, die Gänswein über seine gemeinsamen Jahre mit Ratzinger/Benedikt geschrieben hatte.
Der frühe Erscheinungspunkt, aber auch einige inhaltliche Spitzen erregten den Zorn des Papstes. In einem Interview sprach er später von einem Mangel an Anstand und davon, dass man versucht habe, Benedikt XVI. zu manipulieren und gegen ihn in Stellung zu bringen. Franziskus, der die Kirche immer wieder mit neuen Ideen aufmischt, wird nicht müde zu betonen, dass es zwischen ihm und seinem konservativen Vorgänger viel menschliche Harmonie und keinen Dissens in theologischen Fragen gegeben habe.
Der Streit um die Deutung des fast elfjährigen Nebeneinanders von altem und neuem Papst scheint nun beigelegt, und die neue Aufgabe für den Geistlichen aus dem Südschwarzwald ist mehr als ein Trostpflaster. Denn die drei Republiken zwischen der Ostsee und dem russischen Imperium sind sowohl kirchlich wie auch politisch eine echte Herausforderung.
Die vor allem in Litauen und teils auch in Lettland starke katholische Kirche gilt – ähnlich wie die in Polen – als eher konservativ. Dass Franziskus den ebenfalls eher im konservativen Lager verorteten Gänswein dorthin schickt, ist kirchenpolitisch ungewöhnlich: Lieber schickt er Männer seiner auf Öffnung bedachten Linie in die “konservativen Hochburgen”, um dort für seinen Kurs zu werben.
Auch in der Ökumene ist das Baltikum kein einfaches Parkett: In Lettland und Estland muss sich die katholische Kirche einerseits mit starken protestantischen und andererseits mit (russisch geprägten) orthodoxen Kirchenführern und Gemeinden verständigen.
Und geopolitisch ist das Baltikum, das noch bis 1990 zur Sowjetunion gehörte und mit seinen Häfen und Handelsströmen über die Ostsee immer wieder russische Begehrlichkeiten weckt, ohnehin ein heißes Pflaster. Gemessen am Bruttosozialprodukt unterstützt niemand in Osteuropa die Ukraine im Krieg gegen Russland so stark wie die Balten. Und nirgends sonst ist die Anti-Moskau-Rhetorik in der Politik so lautstark – und das trotz beachtlicher russischer Minderheiten. Auch hier könnte das diplomatische Geschick eines Nuntius gefordert sein, der im Auftrag eines für Frieden und Abrüstung werbenden Papstes agiert.
Ob Vilnius die Endstation für Gänsweins Karriere sein wird, ist offen. Sein Vorgänger auf dem Posten ist inzwischen Botschafter des Papstes bei der Republik Italien – und hat somit einen der wichtigsten Ränge der vatikanischen Diplomatie erklommen. Zwei weitere seiner Vorgänger wurden nach ihrer Zeit in Vilnius in die Nuntiatur nach Wien befördert.