Als RTL-Geschäftsführer der ersten Stunde hat Helmut Thoma TV-Geschichte geschrieben. Jetzt ist er mit 86 Jahren gestorben. Erinnerung an einen Medienmanager, der das deutsche Fernsehen revolutionierte.
Das bundesdeutsche Privatfernsehen, damit tritt man ihm gewiss nicht zu nahe, ist keine allzu akademische Einrichtung. Besonders RTL war in seiner Frühzeit geradezu anti-elitär. Dem Luxemburger Kommerzkanal mit Filiale in Köln ging es um Masse statt Klasse, um Quote statt Titel, um Rendite statt Renommee. Und zwar programmatisch ebenso wie personell. Doch für einen galt das nicht. Der Gründungsgeschäftsführer des Emporkömmlings war ein Medienmanager von Weltrang, (Mit-)Architekt und Baumeister des Dualen Systems aus öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk: Helmut Thoma. Wie erst jetzt bekannt wurde, ist er schon am 3. Mai, genau an seinem 86. Geburtstag, in seiner Geburtsstadt Wien gestorben.
Knapp zwei Jahre, bevor sich das Land der Verkündungsjournalisten und Autorenfilmer 1985 in die “Schwarzwaldklinik” einweisen ließ, machte Thoma mit RTL plus den Öffentlich-Rechtlichen profanes Feuer unterm hochkulturellen Hintern. Anstelle der Angebotspolitik gebührenfinanzierter Platzhirsche übernahm die Nachfragepolitik werbefinanzierter Frischlinge das Ruder und pfiff fortan respekt- bis anstandslos auf den Standesdünkel der TV-Klassengesellschaft. Nur einer behielt akademische Würden und wurde auch bei RTL so angeredet, wie er es aus seiner Heimatstadt Wien kannte: der Herr Doktor Thoma.
Anno 1973 als Prokurist vom öffentlich-rechtlichen Österreichischen Rundfunk (ORF) zum Benelux-Privatfunk Radio Tele Luxemburg gewechselt, macht der promovierte Jurist aus dem frankophonen Regionalkanal ein rechtsrheinisches Vollprogramm, dem nichts ferner liegen könnte als Doktorgrade. Einfache Sprache für einfache Leute – so lautet das Credo des Molkerei-Azubis aus (mutmaßlich) einfachen Verhältnissen, der 1958 das Abitur in der Abendschule nachholt und nach einem Jura-Studium seinen Weg an die Spitze der europäischen Medienindustrie startet. Dorthin also, wo man mit allzu viel Ethos gern auf halber Strecke steckenbleibt.
1982 wurde Thoma bei Radio Tele Luxemburg Programmdirektor, und mit der gleichen Strategie ging er kurz danach auch an den Aufbau des RTL-Fernsehens für die damalige Bundesrepublik, wo zum 1. Januar 1984 erstmals privater Rundfunk zugelassen wurde. Helmut Thomas Fernsehwirkprinzip mag dabei also wohltätig klingen, demokratisch, sozial. Am Ende aber ging es dem TV-Manager nur um eines. Mit Zitaten wie “das Programm ist der Köder, die Quote ist der Erfolg” oder “Fernsehen ist nicht dazu da, die Leute klüger zu machen, sondern sie bei Laune zu halten” macht er früh deutlich, um was genau: die Marktführerschaft. Und sie kommt schneller als gedacht. Keine zehn Jahre nach Sendestart wird RTLplus – vor allem mithilfe der ab 1990 dazu gehörenden fünf neuen Länder – gesamtdeutscher Quotenkrösus.
Getreu seinem Motto, “Was nicht gesehen wird, hat nicht stattgefunden”, revolutioniert er das Fernsehen schließlich mit Formaten, die Geschichte schreiben. Und schafft es, eine Zielgruppe namens “14 bis 49” zu etablieren und zur Grundlage von Werbepreisberechnungen zu machen, die medienwissenschaftlich komplett aus der Luft gegriffen ist. “RTL aktuell” zum Beispiel mischt Nachrichten so geschickt mit Boulevard, dass es als gesendete “Bild” sogar der “Tagesschau” Konkurrenz macht, während Ulrich Meyer und Olaf Kracht auf dem “Heißen Stuhl” Prominente grillen wie sonst nur Springers Blätter, dessen Seite-3-Mädchen sich bei RTL-“Tutti Frutti” ihrer Obstkostüme entblättern.
Parallel zeigt “Gute Zeiten, schlechte Zeiten”, dass Seifenopern weder finanzielle noch schauspielerische Mittel brauchen. Und wer in Dr. Thomas Nachtschleife gerät, hält auch den Jugendschutz nur noch für eine Maßnahme mit Empfehlungscharakter. Kurzum – der kreativ invasive Geschäftsführer tut nahezu alles für Erfolge, die ihm Recht geben – und folgerichtig zur Expansion führen.
In loser Folge entstehen nicht nur Ableger von Vox bis RTL2. Dank seiner Strahl- und Zugkraft wird RTL die Cashcow seiner Eigner, der CLT des belgischen Milliardärs Albert Frère und des Bertelsmann-Konzerns aus Gütersloh. Ohne Helmut Thoma? Undenkbar! Dabei zog er sich 1998 – keine 60 Jahre jung – aus der operativen Führung zurück und tat fortan das, was Patriarchen im Unruhestand gerne tun: sie wachen übers Lebenswerk, geben dem Nachwuchs (gewollt oder nicht) lebenskluge Tipps und zeigen sich dabei mitunter als Kritiker der eigenen Werke.
Als Medienberater monierte Helmut Thoma also wortgewaltig die Verflachung jenes Mainstreams, den er mit Zuströmen schlichter, aber erfolgreicher Unterhaltung als einer der Erfolgreichsten gespeist hatte. Nur, wie er es tat – mit dieser Nonchalance überm Wiener Schmäh, einer Bildschirmpräsenz auf Buddhastatuen-Level, seiner Taktik, Kritiker intern wegzubeißen, aber öffentlich zu umschmeicheln: Das entsprach der guten alten Gutsherrenart wirtschafswunderlicher Familienunternehmer, die man sich in der Shareholder-Ökonomie mitunter zurückwünscht.