Mit einer Fahrradtour bis nach Straßburg wollen serbische Studenten Europa wachrütteln: Die EU müsse erkennen, dass unter Präsident Vucic das Land in Korruption versinke. Ein Muskelkater scheint dagegen eine Lappalie.
Budapest, Bratislava, Wien: Wo Serbiens Studenten auf ihren Fahrrädern auch eintreffen, haben Fans bereits den roten Teppich für sie ausgerollt. Ein Student streckt sein Gefährt über seinen Kopf dem Himmel entgegen und die Menge bricht in Jubel aus. “Pumpaj”, rufen die Versammelten, was übersetzt so viel wie “Druck machen” bedeutet. Mit ihrer Fahrradtour quer durch Europa wollen serbische Studenten auf die politische Situation in dem Balkanstaat aufmerksam machen. Am Freitag erreichen die rund 80 Fahrraddemonstranten Deutschland, wo sie in München, Ulm, Stuttgart und Karlsruhe Halt machen.
Seit Monaten kommt es in Serbien zu Massenprotesten gegen die Regierung von Präsident Aleksandar Vucic. Auslöser war das Bahnhofsunglück von Novi Sad, bei dem im vergangenen November 16 Menschen unter einem einstürzenden Vordach starben – aus Sicht der Regierungsgegner ein Symbol für Misswirtschaft und Korruption im Land. Diese Woche beauftragte Staatsoberhaupt Vucic den bisher politisch gänzlich unbekannten Endokrinologen Duro Macut mit der Bildung einer neuen Regierung. Ministerpräsident Milos Vucevic hatte im Januar inmitten der größten Proteste aller Zeiten in Serbien seinen Rücktritt verkündet.
Ziel der Fahrraddemonstranten ist Straßburg. In der französischen Diplomatenstadt wollen sie Vertreter des Europarats und von EU-Institutionen treffen. “Wir wollen Europa bewusst machen, was hier passiert. Denn Europa hat keine Antwort auf die Schläge, die sich gegen Demokratie und Menschenrechte in Serbien richten”, sagt Alexa. Der Elektrotechnik-Student aus Belgrad hat eben die längste Tagesetappe hinter sich gebracht: 144 Kilometer aus dem ungarischen Györ über Bratislava bis nach Wien. Am Vortag hatte es hier leicht geschneit. Die Kälte setzt den Studenten zu, einige tragen fünf Schichten übereinander. Ob Alexa Blasen an den Füßen plagen oder ein Muskelkater? Der 20-Jährige lacht: “Die haben wir inzwischen alle.”
Auch Bogdan, Robotik-Student aus Novi Sad, musste angesichts von Regen und Wind um Motivation ringen, erzählt er. “Dann dachte ich daran, dass 16 Menschen wegen Korruption gestorben sind. Da konnte es doch nicht so schwer sein, noch ein wenig stärker in die Pedale zu treten und durchzuhalten.” Die Fakultäten in seinem Heimatland sind seit Monaten lahmgelegt. Der Großteil der Professoren unterstützt die Protestblockade. “Natürlich freue ich mich darauf, wieder zu Vorlesungen zu gehen, endlich wieder alles über Schrauben und Bolzen zu lernen”, so der 21-Jährige. “Aber was hier aktuell passiert, ist viel wichtiger als meine akademische Karriere.”
In allen Städten, in denen die Radler Halt machen, werden sie euphorisch von Auslands-Serben empfangen. Das mache einerseits Mut, erzählt ein Student, der ebenfalls Bogdan heißt. Andererseits wünscht sich der 19-Jährige, dass die Jüngeren ihre Zukunft in Serbien sehen – anders als eine ganze Generation von Gastarbeitern. “Mit dieser Tour kämpfen wir gegen Korruption, für Gerechtigkeit und eine bessere Zukunft.”
Viele bezweifeln, dass die unter dem autoritären Vucic-System möglich ist. Der Populist zieht alle politischen Fäden und übt weiten Einfluss auf Justiz, Kirche und Medien aus. In den vergangenen Tagen hatten regierungstreue Boulevard-Medien in Serbien versucht, die Fahrradstudenten zu diskreditieren. Sie wehren sich gegen Vorwürfe, wonach sie bloß zur Schau durch Europas Städte radeln, um sich über Land von einem Lkw chauffieren zu lassen.
In eine Decke gehüllt, Fahrradhelm auf dem Kopf, nippt Vladimir Beljanski an seinem Kaffee. Mit 55 Jahren hat er seine Studentenzeit lange hinter sich. Dennoch hat der Präsident der Anwaltskammer der Vojvodina beschlossen, die Gruppe bis nach Straßburg zu begleiten. “Wir unterstützen die Studentenproteste seit ihrem Beginn und haben als Zeichen der Solidarität sogar für 30 Tage die Arbeit niedergelegt.” Die derzeitige Protestbewegung sieht der Rechtsanwalt als “letzte Chance für Serbien auf echten demokratischen Wandel, auf eine unabhängige Justiz, auf Wahl- und Medienfreiheit, und Korruptionsbekämpfung”.