Auf der am Mittwoch beginnenden 75. Frankfurter Buchmesse ist auch der Katholische Medienverband vertreten. Dem Verband gehören rund 120 konfessionelle Medienunternehmen an – von Klosterbuchhandlungen und theologischen Fachzeitschriften bis zu christlichen Publikumsverlagen. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) in Frankfurt sprach mit dem Medienverbands-Vorsitzenden Ulrich Peters über die Lage des religiösen Buches. Der Diplom-Theologe ist auch Vorstand der Unternehmensgruppe Schwabenverlag AG, zu der etwa die Verlagsgruppe Patmos gehört.
KNA: Herr Peters, in Zeiten allgemeiner Verunsicherung durch Kriege und Krisen müssten religiöse Bücher als eine Art “Anker” Hochkonjunktur haben. Ist das so?
Peters: Grundsätzlich ist das richtig. Aber diese Antworten werden inzwischen immer weniger im Raum der Kirche als der Spiritualität und Lebenshilfe gesucht. Das Christliche hat heute nicht mehr die alleinige Deutungshoheit über das, was “religiös” ist. Da konkurrieren wir schon seit Jahren mit anderen Sinnanbietern. Wer Anselm Grün schätzt, greift durchaus auch zu dem 2022 gestorbenen buddhistischen Mönch Thich Nhat Hanh oder beschäftigt sich mit Schamanismus oder andersherum. Die Herzen sind da viel weiter geworden und die Übergänge fließend. Dadurch befindet sich der christliche Buchmarkt in einem ganz anderen Wettbewerbsumfeld als noch vor 20 Jahren.
KNA: Der Buchmarkt in Deutschland hat 2022 einen Umsatzrückgang um 1,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr verzeichnet. Bei religiösen Büchern fällt der Umsatz-Rückgang erfahrungsgemäß weitaus deutlicher aus – können Sie das beziffern für 2022 und für das erste Halbjahr 2023?
Peters: Mit ihrer Vermutung liegen Sie leider richtig. In den für die Mitgliedsfirmen unseres Verbands besonders relevanten Warengruppen Religion, Theologie und Philosophie stehen am Ende des Geschäftsjahres 2022 ein Umsatzminus von 9,4 und ein Absatzminus von 9,3 Prozent zu Buche. Seit 2017 büßten die betreffenden Warengruppen damit kumuliert 35 Prozent an Umsatz ein. Während des ersten Halbjahres 2023 war der Umsatzrückgang mit einem Minus von 1 Prozent nicht so deutlich. Allerdings verdankt sich diese Entwicklung vor allem deutlichen Preissteigerungen. Der Absatz ging um weitere 3,5 Prozent zurück.
KNA: Die Kirchenaustrittszahlen in Deutschland haben neue Rekordstände erreicht. Was heißt das für den Buchmarkt bei kirchennahen und theologischen Themen?
Peters: Zunächst, dass allein im katholischen Raum mit der historisch hohen Zahl an Austritten und den demografischen Effekten fast eine dreiviertel Million potenzielle Kundinnen und Kunden fehlen. Das spiegelt sich natürlich auch im Interesse der Buchkäufer wider. Je weniger Relevanz Kirche im Leben der Menschen hat, desto weniger Interesse hat man natürlich an entsprechenden Buchtiteln: Je näher an der verfassten Kirche, desto geringer das Interesse.
KNA: Die Kirchen haben offenbar für immer mehr Menschen keine Bedeutung …
Peters: Ja, das Problem ist dabei nicht so sehr, dass viele Menschen eine kritische Haltung gegenüber Kirche einnehmen; die würden sich vielleicht noch mit entsprechender Literatur auseinandersetzen. Das Problem ist zunehmend, dass Kirche gar keine Rolle mehr spielt. Immer mehr Menschen sind kirchliche Themen schlichtweg egal. Oder anders gesagt: kirchliche Themen sprechen nur noch einen harten Kern engagierter Christen an, der bedauerlicherweise inzwischen auch immer mehr in Mitleidenschaft gezogen wird. Es ist von einer “Kernschmelze” die Rede, die auch vor einst engagierten und hochverbundenen Menschen nicht haltmacht und sich zu einer selbst verstärkenden Spirale zu verfestigen droht.
KNA: Sieht es bei Titeln zu Spiritualität oder Lebenshilfe besser aus?
Peters: Ja, deutlich. Themen zu einer sinnorientierten Lebensgestaltung und zur Spiritualität haben Konjunktur. Eine persönliche Spiritualität hat längst kirchlich-konfessioneller Religiosität den Rang abgelaufen. Christliche Ansätze sind ein Angebot unter vielen. Immer mehr Menschen gehen an diese Fragen heute nicht mehr von einem festen Glaubensfundament heran und sagen: Ich suche ein Buch, das mir dabei hilft, mein Leben auf der Basis der katholischen oder christlichen Lehre heraus zu gestalten. Vielmehr heißt es: Spricht mich das an? Passt das in meine Lebenserfahrung und Glaubenshaltung? Hilft mir das in meiner jetzigen Situation weiter?
KNA: Der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche in Deutschland wird immer wieder durch neue erschreckende Enthüllungen offenbar. Spiegelt sich das auf dem Buchmarkt entsprechend wider? Gilt das auch für den Synodalen Weg als Reformprojekt – und für die Weltsynode?
Peters: Nach meiner Beobachtung nicht so viel, wie man vielleicht meinen möchte. Natürlich gibt es zu diesen Themen immer wieder Neuerscheinungen, inzwischen verstärkt auch zum Phänomen des “geistlichen Missbrauchs”. Aber die betreffenden Titel wenden sich nach meinem Eindruck eher an den kleiner werdenden Kreis der hochverbundenen Katholiken. Manches, vielleicht sogar vieles, was dort verhandelt wird, kommt über diesen Kreis gar nicht heraus. Das gilt leider auch für das Reformprojekt des Synodalen Wegs und die Weltsynode. Die Mehrheit der Bevölkerung will sich nicht weiter intensiv mit diesen Themen auseinandersetzen. Den meisten genügt es wohl, sich in den Medien zu informieren und bisweilen einfach den Kopf zu schütteln.
KNA: Der Klimawandel ist im Sommer 2023 durch fast wöchentliche Katastrophenmeldungen aus unterschiedlichen Teilen der Welt erschreckend ins Bewusstsein gerückt: Waldbrände, Flutkatastrophen, Wirbelstürme nehmen offenbar stark zu – eine Bedrohung für die Menschheit und die Schöpfung. Findet sich das auch im Sektor des religiösen Buches wieder?
Peters: Es gibt diese Titel durchaus – und schon deutlich länger als “Fridays for Future” und die “Letzte Generation”. Denken Sie nur an die päpstliche Enzyklika “Laudato si” und deren aktuelle Fortsetzung “Laudate Deum”, um nur zwei zentrale und gesellschaftlich mehrheitsfähige Texte von vielen zu nennen. Schöpfungsbewahrung ist ein absolut zentrales Thema. Ob den Kirchen in diesem Bereich allerdings die nötige Kompetenz zugesprochen wird, vermag ich nicht einzuschätzen.