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Masterplan: Eins für alle – 40 Mal

Kritik an geplanten „Anker-Zentren“ für Asylbewerber wächst nach dem Polizeieinsatz in Ellwangen. Polizeigewerkschaften und Diakonie warnen vor hohem Konfliktpotenzial

Peter Roggenthin

Berlin – Nach dem Großeinsatz der Polizei in einer Flüchtlingsunterkunft im baden-württembergischen Ellwangen wächst die Kritik an den geplanten bundesweit 40 „Anker-Zen­tren“ für Asylbewerber („Anker“ = Kürzel für Ankunft, Entscheidung, Rückführung, Anmerkung der Redaktion)). Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) und die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) befürchten, dass sich organisierter Protest wie in Ellwangen wiederholen könnte, wenn viele Asylbewerber, denen die Abschiebung droht, in solchen Sammelunterkünften untergebracht werden. Flüchtlingsorganisationen und die Diakonie Deutschland lehnen die Zentren ab.
Die GdP fordert von der Bundesregierung ein Sicherheitskonzept mit strengen Auflagen. Verlangt werden für diese Aufnahmezentren bauliche Vorgaben wie Schleusen am Eingang mit Zugangskontrollen und Fluchträume für das Personal zum Schutz vor Gewaltattacken. Nach außen müsse die Anlage umzäunt sein. Notwendig seien zudem eine umfassende Überwachung durch Videokameras und freie Zugangswege für Einsatzkräfte.
Nach dem Vorfall in Ellwangen, wo sich Flüchtlinge mit Gewalt der Abschiebung eines Togoers widersetzt hatten, rechnet  der DPolG-Vorsitzende Rainer Wendt künftig mit noch mehr gewalttätigen Auseinandersetzungen in Asylunterkünften: „Wir müssen mit dem Schlimmsten rechnen. Bewohner aus afrikanischen Ländern haben in der Regel keine Bleibeperspektive und empfinden wenig Scheu, sich auch mit Gewalt gegen ein Eingreifen der Polizei zu wehren, um so einen weiteren Aufenthalt in Deutschland notfalls zu erzwingen“, sagte Wendt der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.
Die Diakonie forderte nach den Ereignissen in Ellwangen eine Abkehr von den Anker-Zentren, in denen Asylbewerber und abgelehnte Flüchtlinge leben sollen. „Dann sitzen dort Menschen, die auf der Suche nach Schutz vor Krieg und Verfolgung ihre Anhörung im Asylverfahren vorbereiten, neben Landsleuten, die Tag und Nacht in Angst vor ihrer Abschiebung leben“, sagte Präsident Ulrich Lilie. Ein solcher „explosiver Mix“ von hochbelasteten Menschen berge jede Menge Sprengstoff für Konflikte. Lilie argumentierte, gerade der Rückbau der großen Aufnahmezentren im vergangenen Jahr habe zu einem spürbaren Rückgang der Straftaten in der Kriminalitätsstatistik geführt.
Der Repräsentant des Flüchtlingshilfswerks UNHCR in Deutschland, Dominik Bartsch, verurteilte die Gewalt gegen Polizisten in Ellwangen scharf. Er räumte aber ein, dass Menschen kurz vor einer Abschiebung in einer Ausnahmesituation seien. Vorfälle wie die in Ellwangen schadeten jedoch denjenigen, die in Deutschland auf Schutz angewiesen sind.
Das Bundesinnenministerium wies Befürchtungen zurück, die Anker-Zentren könnten weitere Fälle wie in Ellwangen provozieren. „Das sehen wir nicht so“, sagte eine Sprecherin in Berlin. Um die Sicherheit in den geplanten Anker-Zentren zu gewährleisten, hat Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) den Ländern Unterstützung durch die Bundespolizei angeboten. Zuvor hatte Seehofer erste Pläne für die Einrichtungen, in denen Asylverfahren bis zur möglichen Abschiebung abgewickelt werden sollen, präsentiert. Im Herbst sollen seinen Plänen zufolge bis zu sechs Test-Einrichtungen an den Start gehen.
Der GdP-Vorsitzende Oliver Malchow lehnte indes eine Bewachung von Anker-Zentren durch die Bundespolizei ab. „Wir wollen solche Zentren nicht bewachen. Wir sind ausgebildete Polizeibeamte und kein Wachpersonal“, sagte er im Bayerischen Rundfunk. Der DPolG-Vorsitzende Wendt sagte der „Passauer Neuen Presse“: „Weder die Bundes- noch die Landespolizei verfügen über die personellen Kapazitäten, um solche Ankerzentren mit zu sichern.“ GdP-Vizechef Jörg Radek sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: „Die Probleme wachsen mit der Größe solcher Lager, auch die Ängste der Menschen dort wachsen und schaukeln sich auf.“ Es gebe ein „erhebliches Aggressions- und Gefährdungspotenzial“, wenn man massenhaft Neuankömmlinge und ausreisepflichtige Asylbewerber zusammensperre.
Die Diakonie Württemberg dringt auf eine dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen. In solchen Unterkünften könne besser auf die Belange der Einzelnen eingegangen werden, sagte Birgit Susanne Dinzinger von der Diakonie dem SWR. In kleineren Unterkünften gebe es auch keine Ausgrenzung und Stigmatisierung. Außerdem sprach sich Dinzinger für eine flächendeckende Flüchtlingssozialarbeit aus.epd/UK