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“Lebenslügendetektor” – Bildhauer Anselm Kiefer erhält Deutschen Nationalpreis

Er gilt als einer der bedeutendsten Künstler der Gegenwart in Deutschland. Jetzt ist Anselm Kiefer in Berlin mit dem mit 30.000 Euro dotierten Deutschen Nationalpreis ausgezeichnet worden.

Anselm Kiefer gilt als einer der bedeutendsten Künstler der Gegenwart in Deutschland
Anselm Kiefer gilt als einer der bedeutendsten Künstler der Gegenwart in DeutschlandImago / ABACAPRESS

Der Maler und Bildhauer Anselm Kiefer ist mit dem Deutschen Nationalpreis ausgezeichnet worden. Der mit 30.000 Euro dotierte Preis der Deutschen Nationalstiftung wurde dem 78-Jährigen in der Berliner Französischen Friedrichstadtkirche bei einem Festakt mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) überreicht.

Scholz würdigte den Künstler als einen wichtigen Botschafter des geschichtsbewussten und modernen Deutschlands, der „Verschüttetes hartnäckig freilegt“. Der 1945 in Donaueschingen geborene Kiefer habe sich wie kaum ein anderer bildender Künstler um die Aufarbeitung und das Aufwühlen deutscher und europäischer Geschichte verdient gemacht.

“Erschreckende Aktualität”

„Was Sie da freilegen und uns vorhalten, ist von erschreckender Aktualität“, sagte der Kanzler. Der russische Angriff auf die Ukraine zeige, „die Tür zum Krieg in Europa kann aufgerissen werden, wenn man sich nicht gemeinsam dagegen stemmt“, sagte Scholz.

Der Kunsthistoriker und Autor Florian Illies nannte den Maler und Bildhauer in seiner Laudatio einen „großen Lebenslügendetektor“. Kiefer zeige den Deutschen in jedem seiner Werke, dass es den Blick nach vorn nur geben kann, wenn man sich in „das Dunkle der Vergangenheit hineinwagt und es auszuhalten vermag“. „Er macht sich schmutzig für uns, damit wir unsere Hände nicht in Unschuld waschen können“, sagte Illies.

Mit Religion auseinandergesetzt

Der Senatspräsident der Deutschen Nationalstiftung und frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Andreas Voßkuhle, würdigte Kiefer als einen der wichtigsten Kunstschaffenden der Gegenwart. Seine Werke gemahnten an die große Aufgabe einer friedlichen Verständigung über Nationalgrenzen hinweg.

Kiefer zählt zu den bekanntesten und erfolgreichsten deutschen Künstlern nach dem Zweiten Weltkrieg. In seinen Werken setzt er sich mit Geschichte, Mythologie und Religion auseinander. Seine Karriere begann mit einem Skandal, als er im Rahmen einer fotografisch dokumentierten Performance 1969 an verschiedenen Stätten Europas den Hitlergruß ausführte. Auch später verstörte er die Öffentlichkeit mit seinen Arbeiten immer wieder. Seit 1992 lebt und arbeitet er in Frankreich. Seine Werke sind in Museen und Sammlungen weltweit zu sehen.

In seiner Dankesrede nahm Kiefer die digitale Entwicklung in den Blick. Der damit verbundene tägliche „Informations-Tsunami“ lasse keine Langeweile und kein Warten mehr zu, sagte er. Dabei sei „das Warten genauso wichtig wie das Handeln“ und „Langeweile sei der Anfang von Philosophie“.

Kiefer gibt Preisgeld weiter

Das Preisgeld will Kiefer nach Angaben der Stiftung an die Empfänger des diesjährigen 20.000 Euro umfassenden Förderpreises der Nationalstiftung weitergeben. Preisträger sind die beiden Jugendorchester-Projekte „Hangarmusik“ und „Démos“ aus Berlin und Paris.

Hangarmusik wurde 2016 in der Notunterkunft für Geflüchtete im ehemaligen Flughafen Tempelhof Berlin gegründet. Das Musik-Bildungsprogramm „Démos“ ermöglicht jungen Menschen aus sozialen Brennpunkten in Paris über die Begegnung mit klassischer Musik gemeinsame Lernerfahrungen. Die Deutsche Nationalstiftung wurde 1993 von Altkanzler Helmut Schmidt (SPD) gegründet.