An der Rückseite des Diakoniekrankenhauses Friederikenstift weist ein Schild den Weg zum „Babykörbchen“. An einem Nebengebäude vorbei führt ein schmaler Gang zu einer Kellertür mit Klappe. Es ist die einzige Babyklappe in Hannover. Hier können Frauen in Not ihr neugeborenes Kind in ein Wärmebett legen. Zeichnungen beschreiben, wie die Klappe zu betätigen ist. Sobald sie geöffnet wird, ertönt ein Alarmsignal in den Kreißsälen. In wenigen Minuten ist eine Hebamme da.
2001 wurde in Hannover auf Initiative der damaligen Landesbischöfin Margot Käßmann der „Notruf Mirjam“ gegründet – ein Hilfsnetzwerk für Schwangere und Mütter in Not, zu dem auch das „Babykörbchen“ im Friederikenstift gehört – eine von knapp 100 Babyklappen in ganz Deutschland.
Babyklappe – die allerletzte Instanz
„Für uns sind Babyklappen die allerletzte Instanz, wenn wirklich gar nichts mehr geht“, betont Judith Rohde. Die Sozialpädagogin koordiniert die verschiedenen Hilfsangebote des Netzwerks. Die Babyklappen sind in ein umfassendes Beratungsgebot eingebunden, so Rohde. „Für uns ist es wichtig, die Frauen schon vorher zu erreichen und neutral zu beraten.“
Betroffene Frauen können sich kostenlos und anonym an das Netzwerk (Tel. 0800 / 605 00 40) wenden, um ein Notzimmer, Begleitung oder andere Hilfen zu bekommen. Trotzdem wurden seit 2001 bereits zwölf Kinder in die Babyklappe am Friederikenstift gelegt. „Die betroffenen Frauen sind immer in Notsituationen und wissen nicht weiter“, sagt Rohde. Im Januar 2008 erfror ein Säugling, den jemand vor der Tür abgelegt hatte. Die Klappe ließ sich wohl wegen der Kälte nicht öffnen.
Die eigene Herkunft als ewiges Geheimnis
Abgegebene Säuglinge kommen innerhalb weniger Tage in eine Adoptivfamilie. Die leiblichen Mütter können sich jedoch melden, wenn sie ihr Kind zurückwollen. Per DNA-Test wird ihre Mutterschaft festgestellt. Immerhin vier der zwölf hannoverschen Babyklappenkinder kamen wieder zu ihren Müttern.
Doch für viele andere bleibt ihre Herkunft ein lebenslanges Geheimnis. Das ist einer der Hauptkritikpunkte an Babyklappen. Für mehr als 200 Kinder in Deutschland ist die Herkunft selbst dann nicht mehr ermittelbar, wenn sich ihre Eltern doch noch melden sollten. Denn einige Trägereinrichtungen dokumentierten die Kindsabgabe und die folgenden Adoptivverhältnisse so ungenügend, dass nicht mehr herauszufinden ist, wer wo gelandet ist. Für ein gutes Fünftel der 973 zwischen 1999 und 2010 anonym abgegebenen Kinder fehlen Informationen über deren Verbleib, resümierte eine Studie des Deutschen Jugendinstituts (DJI) München. 652 dieser Kinder wurden anonym in Krankenhäusern geboren, 278 in Babyklappen gelegt und 43 anonym an Mitarbeiter übergeben.
Der Deutsche Ethikrat forderte schon vor Jahren die Abschaffung von Babyklappen und anonymen Geburten. Ein erster Schritt dahin war 2014 womöglich die gesetzliche Einführung der „vertraulichen Geburt“ (siehe Text links). Mehr als 120 Frauen hätten dieses Instrument bislang genutzt, teilte ein Sprecher des Bundesfamilienministeriums auf Anfrage der Evangelischen Zeitung mit.
„Die ‚vertrauliche Geburt‘ ist sinnvoll, aber sie ersetzt nicht die Babyklappe“, ist Mirjam-Koordinatorin Rohde sicher. Die Angebote richteten sich an unterschiedliche Gruppen. Manche Frauen verheimlichten und verdrängten ihre Schwangerschaft. Viele nehmen erst sehr spät Kontakt zu Beratungseinrichtungen auf. Andere gar nicht – denen bleibe nur noch die Babyklappe.
Frauen aus allen Schichten und Altersgruppen
Eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) fand heraus, dass fast alle Frauen, die ihr Neugeborenes töteten, die Schwangerschaft zuvor ebenfalls verheimlicht und verdrängt hatten. Dies könnten also auch potenzielle Babyklappen-Nutzerinnen sein. Hätten Klappen die Leben dieser Kinder gerettet?
Nein, sagen Gegner, Babyklappen verhinderten keine Kindstötungen. Frauen, bei denen diese Gefahr bestehe, würde das Angebot gar nicht erreichen, denn die Nutzung setze ein gewisses Maß an planvollem Handeln voraus. Nach Zählungen des Kinderhilfswerks „Terre des hommes“ würden auch in Städten mit Babyklappen und mit Angeboten zu anonymen Geburten jährlich viele Neugeborene getötet. Allein in den vergangenen drei Jahren gab es 30 solcher Fälle.
Die DJI-Studie zeigte, dass die Motive der Frauen so vielfältig sind wie ihre soziale Herkunft. Ursprünglich meinten Betreiber, dass es um minderjährige Mütter, Prostituierte oder illegale Migrantinnen gehe. Es lasse sich jedoch keine „spezifische Nutzerinnengruppe“ identifizieren, sagt Monika Bradna, Mitautorin der Studie. Frauen aller Schichten und verschiedener Altersgruppen seien dabei. Entscheidend sei, dass Betroffene ein ganzes Bündel an Motiven und Problemen mit sich schleppten, so Bradna. Dazu gehören komplizierte Beziehungen, soziale Not, berufliche Ängste, Druck durch Familie oder Umfeld, Panik, Scham oder psychische Überforderung.
Völlig unterschiedliche Betroffene mit vielen verschiedenen Problemen – diese Gemengelage macht klare Antworten sehr schwer. Laut DJI-Studie wollten die betroffenen Frauen vor allem gegenüber Herkunftsfamilie, Vater, Jugendamt oder Arbeitgeber anonym bleiben, nicht aber zwingend gegenüber dem eigenen Kind. Das spricht immerhin für die „vertrauliche Geburt“, die dem Kind später ermöglicht, zu erfahren, wer seine Mutter ist.
Informationen zur „vertraulichen Geburt“ gibt es im Internet unter www.geburt-vertraulich.de.