Kolumbien droht Israel, Brasilien will vermitteln, Venezuela nennt Jesus einen Palästinenser. Die Linksregierungen in Lateinamerika haben traditionell enge Verbindungen zu Israels Gegnern. Aber dort leben auch viele Juden.
Es war ein Tag mit Symbolcharakter in Brasilien: Während die Jüdische Gemeinde auf der Avenida Atlantica an der Copacabana in Rio de Janeiro tausende Teilnehmer zu einem Solidaritätsmarsch für Israel mobilisierte, trafen sich auf der Avenida Paulista in Sao Paulo die Unterstützer Palästinas. Die beiden bekanntesten Straßen des größten lateinamerikanischen Landes standen am Sonntag ganz im Zeichen jenes Nahost-Konfliktes, der derzeit auch Lateinamerika in zwei Lager teilt.
Die Hamas-Attacke auf Israel, bei der mehr als 1.300 Menschen getötet wurden, wird dabei unterschiedlich bewertet. Lateinamerikas Linksregierungen haben traditionell eine enge Verbindung zur Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO und zum Teil auch zur radikalislamischen Hamas, die konservativen und evangelikalen Kräfte stehen dagegen eher auf der Seite Israels.
Kolumbiens linksgerichteter Präsident Gustavo Petro sorgte mit Äußerungen, die Israel als antisemitisch verurteilte, für heftige diplomatische Verstimmungen. Petro verglich laut kolumbianischen Medien den jüdischen Staat mit Hitler-Deutschland und erklärte, die Hamas sei in Wahrheit eine Erfindung des israelischen Geheimdienstes Mossad, um das palästinensische Volk zu spalten.
Israel bestellte daraufhin die kolumbianische Botschafterin ein und legte den Export von Sicherheitsequipment nach Kolumbien auf Eis. Petro drohte wiederum, die diplomatischen Beziehungen mit Israel abzubrechen, wenn dies notwendig sei. Junge Juden in Kolumbien rief Petro dazu auf, keine israelischen Kriegsverbrechen zu unterstützen. Bislang hat Petro den Hamas-Angriff auf Israel nicht ausdrücklich verurteilt. Gleich zweimal wurde das Umfeld der israelischen Botschaft in Bogota inzwischen das Ziel von Vandalen.
Wenig überraschend stellten sich die drei Linksautokratien Kuba, Venezuela und Nicaragua auf die Seite der Palästinenser. Venezuelas Regierung um Präsident Nicolas Maduro unterhält unter anderem enge Verbindungen zur als Terrororganisation eingestuften Hisbollah im Libanon. Maduro bezeichnete in seiner eigenen TV-Sendung Jesus Christus als palästinensischen Jungen und ersten Anti-Imperialisten, der sich gegen das römische Imperium erhoben habe.
Insgesamt wurden bei der Hamas-Attacke mehr als ein Dutzend Lateinamerikaner ermordet. Unter den Opfern sind viele junge lateinamerikanische Frauen, die bei dem Überfall auf das Musikfestival in der israelischen Negev-Wüste getötet, vergewaltigt oder verschleppt wurden. Verzweifelt versuchten die Angehörigen an Informationen zu gelangen. Nach tagelangem Warten trafen dann die ersten Nachrichten ein, dass die Leichen der Vermissten identifiziert wurden.
Eine besondere Rolle kommt Brasiliens Präsident Luiz Inacio Lula da Silva zu. Das südamerikanische Land hat derzeit den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat inne, dem höchsten Gremium der Vereinten Nationen. Im August hatte Lula bei einem Afrika-Aufenthalt noch kritisiert: “Der Sicherheitsrat, der eigentlich für Frieden und Ruhe zuständig sein sollte, ist der Rat, der Krieg macht.” Nun kann Lula beweisen, dass es unter seiner Führung besser läuft.
Unterstützung bekam er von Israels Präsident Isaac Herzog, der bekannte, er sei ein Lula-Fan. Die rechte Opposition in Brasilien kritisiert allerdings, dass sich Lula in der Vergangenheit zu einseitig auf die Seite Palästinas gestellt habe. Ex-Präsident Jair Messias Bolsonaro sammelte für ein jetzt in Sozialen Medien gepostetes Bild, das ihn bei einer früheren Reise an der Klagemauer zeigt, 1,6 Millionen Likes ein. Es war damit das Foto mit der meisten Zustimmung seit langer Zeit für Bolsonaro, dessen Basis die israelnahen evangelikalen Kirchen sind.
Zumindest medial hat der Hamas-Terror auch den Vatikan erreicht. Die Tageszeitung “La Nacion” aus Buenos Aires berichtete am Sonntag (Ortszeit) unter Berufung auf den Journalisten Henrique Cymerman, dass Papst Franziskus fürchte, es könne einer seiner Bekannten unter den argentinischen Opfern der Hamas-Attacke sein. Eine offizielle Bestätigung gibt es dafür bislang nicht. Insgesamt sind mindestens sieben Argentinier in Israel getötet worden. Ein Neffe des prominenten israelischen Musikers Leon Gieco wurde von der Hamas verschleppt.