Der Präsident des baden-württembergischen Landkreistags, Landrat Joachim Walter (Tübingen), hält einen Richtungswechsel in der Migrationspolitik für dringend. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) müsse sich „endlich mit aller Entschiedenheit für eine gerechtere Verteilung der Geflüchteten in der Europäischen Union einsetzen und darf nicht länger darauf vertrauen, dass sich europäische Solidarität von selbst ergibt“, schreibt Walter in einer Mitteilung vom Donnerstag. Auch müsse die Liste der sicheren Herkunftsstaaten rasch um die Maghreb-Staaten und die Türkei erweitert werden.
Walter verwies darauf, dass Baden-Württemberg seit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine rund 176.000 Menschen aus diesem Land aufgenommen habe. Daneben seien mit 24.000 Erstanträgen auf Asyl in den ersten acht Monaten dieses Jahres doppelt so viele Anträge gestellt worden wie im Vorjahr. Die Kommunen seien seit geraumer Zeit am Limit. „Hinzu kommt, dass Kitas, Schulen und die medizinische Versorgung bereits heute massiv belastet und teilweise auch schon überlastet sind“, schreibt Walter.
Da nur der Bund die Fluchtmigration begrenzen und steuern könne, müsse dieser auch die Kosten umfassend finanzieren. Es wäre fatal, wenn wichtige kommunale Maßnahmen zurückgestellt werden müssten, um die Migrationskosten decken zu können. Irreguläre Zuwanderung müsse auch mithilfe von Grenzkontrollen begrenzt werden.
In dieselbe Richtungen gehen Forderungen des baden-württembergischen Gemeindetags vom Donnerstag. „In den Kitas gibt es keine freien Plätze, die Schulen sind voll, die ärztliche Versorgung über der Belastungsgrenze und auch Sprachkurse sind nicht annähernd in ausreichendem Maße verfügbar“, heißt es in einer Mitteilung. Das Personal in den Ausländerbehörden arbeite weit über dem Limit. „Die Grenzen des Machbaren sind erreicht.“ Außer kleinteiligen Initiativen und vielen Ankündigungen gebe es bislang keine wirksamen Maßnahmen, kritisiert Gemeindetagspräsident Steffen Jäger.
Dagegen fordern der baden-württembergische Flüchtlingsrat und der „Paritätische“ zum Tag der Geflüchteten (29. September) „das Ende der aktuellen menschenfeindlichen Debatte um die Abwehr Geflüchteter und die Umkehr zu einer menschenwürdigen Debatte in der Flüchtlingspolitik“. Laut einer gemeinsamen Mitteilung müssten die aktuelle Abschiebungspraxis gestoppt, Bleiberechte für Geflüchtete konsequent umgesetzt, die Situation in den Ausländerbehörden verbessert und die drohenden Kürzungen im Bundeshaushalt 2024 für den Migrationsbereich abgewendet werden. Besonders absurd sei es, wenn Menschen vom Arbeitsplatz abgeschoben würden, während man gleichzeitig einen Arbeits- und Fachkräftemangel beklage.
Flüchtlingsrat und „Paritätischer“ beobachten „rassistische Diskurse über geflüchtete Menschen bis in die Mitte der Gesellschaft“. Politiker schürten Hass. Dabei zwinge die Verhinderung legaler Migration Menschen zu einer traumatischen Flucht und anschließend für Jahre in ein äußerst restriktives Aufnahmesystem, sagte Mariella Lampe, Vorstandsmitglied des Flüchtlingsrats.