Hungernde Kinder, klagende Mütter und verzweifelte Väter: Die Bilder aus dem Gazastreifen sind bedrückend. Für die Bundesregierung geht es um die richtigen Worte – an die Weltgemeinschaft und Israel.
Die Lage von Zivilisten im Gazastreifen ist erschreckend. Hilfsorganisationen mahnen, dass Notlieferungen dringend in den abgeriegelten Küstenstreifen, der auch eine Grenze zu Ägypten hat, gelangen und Angriffe der israelischen Armee aufhören müssten. Doch auch nach Aufhebung der fast dreimonatigen Blockade durch Israel laufen die Hilfslieferungen bisher schleppend an. Während manche dahinter die Angst vor einer Stärkung der Terrororganisation Hamas sehen, vermuten andere ein Vorgehen gegen die gesamte palästinensische Bevölkerung.
Die Vereinten Nationen, insbesondere Generalsekretär Antonio Guterres, werden nicht müde, auf die Lage hinzuweisen. “Die gesamte Bevölkerung Gazas ist von einer Hungersnot bedroht. Familien müssen hungern und ihnen wird das Nötigste vorenthalten – und das alles vor den Augen der Weltöffentlichkeit”, klagte Guterres jüngst. Mit diesen und anderen Äußerungen geht er mit vielen der 193 UN-Mitgliedstaaten immer wieder auf Konfrontationskurs zur israelischen Regierung.
Auslöser des Gaza-Kriegs war ein Angriff von Terroristen der islamistischen Hamas und anderen Organisationen auf israelische Orte, ein Musikfestival und Armeestützpunkte entlang der Grenze zum Gazastreifen am 7. Oktober 2023. Dabei wurden etwa 1.200 Menschen getötet und rund 250 Geiseln verschleppt, teils in unterirdische Tunnel der Hamas. Etliche kamen inzwischen frei; viele wurden getötet, unter den Toten sind auch zwei Kinder.
Weiterhin werden zahlreiche Geiseln festgehalten, seit fast 600 Tagen. Freigelassene berichten von Folter und Hunger sowie von angeketteten Geiseln. Beim Massaker vom 7. Oktober kam es auch zu brutalen Vergewaltigungen. Die palästinensische Seite beklagt indes Zehntausende Todesopfer durch Angriffe Israels.
Die Bundesregierung versucht seit Kriegsbeginn, den richtigen Ton zu treffen. Die bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel jähren sich in diesem Jahr zum 60. Mal. Sie sind etwas ganz Besonderes: durch die Geschichte, das unermessliche Leid, das Nazi-Deutschland mit der Schoah über Jüdinnen und Juden brachte. Mit Blick darauf betonte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) am Montag: “Deutschland muss sich mit öffentlichen Ratschlägen an Israel zurückhalten wie kein zweites Land auf der Welt.”
All das wird international gesehen. Und doch zeigen sich Beobachter im Ausland erstaunt, wie – aus ihrer Sicht – teils unkritisch Deutschland im Vergleich zu anderen Nationen gegenüber Israel auftrete. Die Bundesregierung habe großes Interesse, an der Seite Israels zu bleiben, und das beruhe wohl auch auf Gegenseitigkeit, betonte der Kanzler ebenfalls am Montag.
Es könnte sein, dass Deutschland seine verbale Positionierung unter der Regierung Merz verändert. Zumindest lassen jüngste Äußerungen von Vertretern der Bundesregierung diese Vermutung stellenweise zu. Es ist aber, das wird aus den Formulierungen klar, ein verbaler Drahtseilakt. Hinzu kommt, dass viele, die für die Regierung sprechen, ebenso wie Kanzler und Minister neu in ihren Ämtern und Rollen sind.
Die Wortwahl von Vizeregierungssprecher Sebastian Hille in seiner ersten Regierungspressekonferenz klang mit Blick auf Hilfslieferungen in den Gazastreifen deutlich: “Wir sehen Israel da ganz klar in einer Verantwortung, der Israel nachkommen muss.” Die Hilfe müsse ausgeweitet werden. Sie sei viel zu wenig, komme zu spät und zu langsam. Israel müsse dafür sorgen, “dass das Leid in Gaza ein Ende hat”. Sein Kollege Steffen Meyer bekräftigte diese Haltung. Israel müsse sich an das humanitäre Völkerrecht halten. Und Entwicklungsministerin Reem Alabali-Radovan (SPD) mahnte: “Der besondere Schutz von Kindern in Kriegen ist keine Verhandlungssache, sondern eine völkerrechtliche Verpflichtung.”
Der Kanzler fand jüngst deutlichere Worte: “Was die israelische Armee im Gazastreifen macht, ich verstehe ehrlich gesagt nicht mehr, mit welchem Ziel.” Es sei eine “menschliche Tragödie”, wenn etwa wie zuletzt bei einem Angriff auf eine Schule vor allem Kinder zu Tode kämen. “Das lässt sich nicht mehr mit einem Kampf gegen die Terroristen der Hamas begründen.” Israel dagegen führt ins Feld, dass die Hamas beispielsweise Waffen auch in Schulgebäuden unterbringe.
Bemerkenswert weit ging der Beauftragte der Bundesregierung gegen Antisemitismus, Felix Klein. Teile seiner Äußerungen wurden in der englischsprachigen Online-Ausgabe der israelischen Zeitung “Haaretz” zitiert. Klein beklagte nicht nur die Lage im Gazastreifen und ausbleibende Hilfe. Er forderte, “ehrlicher über den Begriff Staatsräson zu diskutieren, genauso wie über das Wort Existenzrecht”. Die deutsche Staatsräson in Bezug auf Israel könne “keine Rechtfertigung für alles” sein, sagte er der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung”.
Und: “Die Palästinenser auszuhungern und die humanitäre Lage vorsätzlich dramatisch zu verschlimmern, hat nichts mit der Sicherung des Existenzrechts Israels zu tun. Und es kann auch nicht deutsche Staatsräson sein.”
Zugleich betonte Klein unmissverständlich: “Wir müssen uns mit aller Kraft dafür einsetzen, die Sicherheit Israels und der Juden weltweit zu bewahren. Aber wir müssen auch klar sagen, dass das keine Rechtfertigung für alles ist.” Außerdem sprach er von einem “genozidalen Hass” der Hamas, gegen den sich Israel verteidigen dürfe. “Die Verhältnismäßigkeit darf dabei durchaus infrage gestellt werden. Trotzdem müssen wir, nicht nur aus historischer Verantwortung, sondern auch aus reiner Menschlichkeit, an Israels Seite stehen. Dazu gehört, ein mögliches Fehlverhalten klar anzusprechen.”