Berlin. Jedes Jahr stellt sich die Frage, ob es dem Bundestag gelingt, beim Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus einer sich einschleichenden Routine zu entgehen. In diesem Jahr war es die amerikanische Schriftstellerin und Holocaust-Überlebende Ruth Klüger, die mit einem sehr persönlichen Lob für den Kurs von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in der Flüchtlingspolitik einen Lichtpunkt setzte. Vor dem Hintergrund des Koalitions-Streits um die Aufnahmefähigkeit Deutschlands leuchtete er umso heller.
Die 84-jährige Klüger sagte in ihrer Gedenkrede, Deutschland, das vor 80 Jahren für die schlimmsten Verbrechen des Jahrhunderts verantwortlich gewesen sei, habe heute "den Beifall der Welt gewonnen dank seiner geöffneten Grenzen und der Großzügigkeit, mit der Sie syrische und andere Flüchtlinge aufgenommen haben und noch aufnehmen."
Wir schaffen das – ein "heroischer Slogan"
Dies sei der Hauptgrund, warum sie mit Freude die Einladung angenommen habe, im Rahmen des Holocaust-Gedenktags vor dem Bundestag zu sprechen. Trotz Hindernissen und Rückschlägen werde an diesem "gegensätzlichen Vorbild" zum Deutschland der Nazi-Zeit gearbeitet "mit dem schlichten und dabei heroischen Slogan: Wir schaffen das".
Klüger schilderte in ihrer Rede ihre Inhaftierung im KZ Groß-Rosen im heutigen Polen, in dessen Außenlager Christianstadt sie als 13-Jährige Zwangsarbeit im Forst und im Steinbruch leisten musste. Ihr eigenes Überleben, sagte sie, verdanke sie einem Zufall von wenigen Minuten und der Hilfe einer Frau, die sie nie wiedergesehen habe. Nach der Auflösung des Lagers gelang ihr mit ihrer Mutter und einer Freundin die Flucht vom "Todesmarsch", auf dem sie nach Westen geschickt worden waren.
Klüger ging besonders auf die Leiden der Frauen in den Konzentrationslagern ein und kritisierte, dass die Zwangsprostituierten im KZ Mauthausen und anderen Lagern nie als Zwangsarbeiterinnen anerkannt worden seien. "Für sie galt der Respekt vor den Überlebenden nicht", sagte sie: "Wir müssen sie einschließen, wenn wir der Zwangsarbeiter gedenken".