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Kurschus: Für deutsch-polnische Versöhnung bleibt noch viel zu tun

Westfälische Präses predigt bei Friedensgottesdienst in Warschau

Bielefeld/Warschau (epd). Angesichts globaler Herausforderungen wie
Klimawandel und Migration wirbt die stellvertretende Ratsvorsitzende
der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, für
ein gemeinsames Engagement von Deutschland und Polen. Für die
Versöhnung beider Länder bleibe jedoch noch viel zu tun, sagte die
westfälische Präses, die am Samstag in einem deutsch-polnischen
Friedensgottesdienst in Warschau predigt, dem Evangelischen
Pressedienst (epd). Zu Polen hat die leitende Theologin, die auch
EKD-Beauftragte für die deutsch-polnische Beziehungen ist, zahlreiche
biografische Bezüge.

epd: Welches sind die wichtigsten Herausforderungen für ein
versöhntes deutsch-polnisches Verhältnis nach dem Zweiten Weltkrieg?

   Kurschus: Als erstes gilt es, einander aufmerksam zuzuhören. Nur
so nehmen wir einander wirklich ernst und gewinnen eine Ahnung davon,
was die Menschen auf der jeweils anderen Seite bewegt. Dies ist die
wichtigste Voraussetzung für gegenseitiges Verstehen und versöhnende
Schritte aufeinander zu. In langen Gesprächen habe ich gelernt, wie
tief in Polen die Erfahrung sitzt, zwischen mächtigen Nachbarn
eingezwängt und über Jahrzehnte ohne staatliche Selbstständigkeit
gewesen zu sein. Nach dem Ersten Weltkrieg war diese für kurze Zeit
wiederhergestellt, dann ging sie durch die Terrorherrschaft
Nazi-Deutschlands, später durch die Einverleibung seitens der UdSSR
erneut verloren.

   Diese Erfahrung prägt bis heute – bewusst oder unbewusst – das
Verhältnis zwischen Polen und Deutschland und der Europäischen Union.
Das müssen wir uns immer wieder klarmachen.

epd: …und als zweites?

   Kurschus: In einem zweiten Schritt wird es darauf ankommen, die
zurückliegenden Kapitel unserer gemeinsamen Geschichte wirklich
gemeinsam zu betrachten und gemeinsam zu erzählen: Aus der je eigenen
Perspektive, im Hören auf die Perspektive des anderen. Hier ist schon
viel geschehen, vor allem die Kirchen haben dazu wesentlich
beigetragen. Und: Es gibt noch viel zu tun, wie die aktuelle
politische Lage zeigt. Was an wechselseitigem Verständnis bereits
wachsen konnte, bleibt ein kostbares und zerbrechliches Gut. Es
bedarf der weiteren sorgfältigen Pflege durch kontinuierliche
Begegnungen und Gespräche.

epd: Was ist für eine gemeinsame Zukunft wichtig?

   Kurschus: Schließlich braucht es neben dem gemeinsamen Erinnern an
das, was war, den gemeinsamen Blick nach vorn. Es liegen Aufgaben vor
uns, die wir nur gemeinsam angehen können: Etwa die Verteidigung der
Demokratie und der Menschenrechte; die Sorge um Chancen- und
Verteilungsgerechtigkeit in der EU; der konsequente Einsatz für
weltweite Klimagerechtigkeit; ein abgestimmtes Agieren im Blick auf
Migration.