Das Sicherheitsempfinden der Menschen in Deutschland ist nach Einschätzung des Kriminologen Thomas Bliesener eher von der Medienberichterstattung als von tatsächlich erhobenen Daten abhängig. „Das subjektive Bedrohungserleben ist von der objektiven Datenlage nahezu abgekoppelt“, sagte der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Diese Feststellung machten Forscher bereits seit vielen Jahren immer wieder.
Die Meldungen in den Medien und den sozialen Netzwerken über Verbrechen im öffentlichen Raum hätten in den vergangenen Jahrzehnten drastisch zugenommen. So sei vor Kurzem darüber berichtet worden, dass ein jüngerer Mann einen älteren eine Treppe im Uelzener Bahnhof hinabgestoßen und damit getötet haben soll. Aufgrund wiederholter und ausführlicher Berichterstattung über derartige Fälle hätten die Menschen den Eindruck, die Zahl der Überfälle auf Plätzen, in Straßen und in Bahnhöfen steige. Dabei sei das Gegenteil der Fall sei, betonte Bliesener.
Seit den 1990er Jahren hätten etwa die Zahlen von Taschen-, Auto- und Fahrraddiebstählen sowie Vandalismus deutlich abgenommen. Erst im letzten Jahr wurde laut Bliesener wieder ein leichter Anstieg bei diesen Delikten registriert. Bei Körperverletzungen habe es zuletzt 2008 ein Höchststand gegeben. Danach seien die Zahlen bis 2021 deutlich gesunken. Obgleich sie inzwischen wieder stiegen, seien sie noch immer weit vom bisherigen Höchstwert entfernt, erläuterte der Kriminologe.
Die Berichterstattung über einzelne Fälle trage diese mitunter weit über die Region hinaus, in der sie passierten, erläuterte der Kriminologe: „Wenn vor 20 Jahren im Bayerischen Wald etwas passierte, hat davon außerhalb Bayerns niemand etwas erfahren. Wenn heute in Hannover jemand mit dem Messer verletzt und wenige Tage später in Bayern eine ähnliche Straftat begangen wird, erfahren wir das auch hier.“
Zudem werde über eine Straftat, die Ermittlungen und spätere Gerichtsverhandlungen oftmals wiederholt berichtet. Leser und Hörerinnen könnten kaum noch nachvollziehen, dass es sich dabei immer um dieselbe Tat handele, sagte Bliesener. So könne etwa bei einigen Menschen durch die aktuellen Berichte über die Verurteilung eines Mannes, der im Kreis Diepholz im September 2023 eine Inline-Skaterin ermordet hatte, „der Eindruck hängen bleiben, dass da schon wieder jemand ermordet worden ist“.
Der Instituts-Direktor wünscht sich eine „sachlichere und weniger sensationslüsterne“ Berichterstattung, die lange zurückliegende Fälle leichter identifizierbar macht. Er sehe keinen Grund, Straßen, öffentliche Plätze oder gar Bahnhöfe zu meiden. „Wenngleich es natürlich gefährlichere und weniger gefährliche Orte gibt und die Gefahrenlage etwa auch von der Tageszeit oder sogar vom Wetter abhängig sein kann“, sagte Bliesener.