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Krachend gescheitert und laut bejubelt

Kündigung, Ehe-Aus, ein verlorenes Fußballspiel – Scheitern ist verpönt. In vielen Städten sind vielleicht gerade deswegen „Fuck-Up Nights“ ein Erfolg. Dabei erzählen Gründer von ihren größten Pleiten. Die Botschaft: aufstehen, weitermachen.

Sonja Kreye lernt Matthias kennen. Mit ihm ist alles anders. Vorher hielten ihre Beziehungen höchstens zwei Jahre, wie die blonde Frau mit Lederjacke erzählt. Mit Matthias bekommt sie ein Kind. Beruflich hat sie Lust auf etwas Neues, macht sich selbstständig als Marketing-Beraterin. Alles scheint perfekt. Doch nach einem Jahr ist klar: Sie ist gescheitert. Kontostand: Null. Das Pech ist vollkommen, als auch noch ihr Mann sie verlässt.

Pannen, Pech und Pleiten von Leidensgenossen

„Uiiii!“, ruft das Publikum entsetzt. Aus einer Ecke des Raums kommen Pfiffe. Einige schütteln den Kopf, schauen mitleidig zu der ehemaligen PR-Mitarbeiterin für die Formel 1 auf die Bühne. Kreye ist eine der Referentinnen und Referenten auf der ersten Darmstädter „Fuck-Up Night“. Rund 150 Zuschauer sind in den Irish Pub „An Sibin“ gekommen, um die Pannen, Pech- und Pleiten-Geschichten von Kreye und ihren Leidensgenossen zu hören. „Fuck up“, das heißt „vermasseln“.

Nicht alle schaffen den Ausweg aus der Krise. Die „Fuck-Up Nights“ wollen bewusst Positiv-Beispiele zeigen. Das Konzept stammt aus Mexiko: 2012 kamen dort fünf Freunde auf die Idee, Geschichten von beruflichem Versagen als Event zu inszenieren. Bei den Veranstaltungen erzählen Unternehmer, was sie aus Misserfolgen gelernt haben.

Inzwischen gibt es das Format überall auf der Welt. In Nordrhein-Westfalen unter anderem im Ruhrgebiet, etwa in Dortmund, oder in Ostwestfalen. Die Universität Bonn veranstaltet eigene Studenten-„Fuck-Up Nights“.

Auch Prominente wie der FDP-Chef Christian Lindner waren schon zu Gast: 2016 berichtete der Politiker in Frankfurt über den Fehlschlag des Start-ups, das er während seines Studiums gegründet hatte.

In Darmstadt hat der Pfarrer Stefan Hund die „Fuck-Up Night“ mit organisiert. Er sagt, jeder brauche eine solche „Stunde Null“, wie er den Moment des Scheiterns nennt. Er ist überwältigt davon, wieviele Besucher heute da sind. Gerechnet hatten seine Kollegen von der örtlichen Wirtschaftsförderung und er mit höchstens 50, wie der Klinikseelsorger aus Darmstadt-Eberstadt in der Pause erzählt.

Wenn zur Insolvenz die Depression dazukommt

Im Hintergrund prosten sich die Leute mit ihren Bierkrügen zu. Vor allem jüngere Menschen hätten sich angemeldet, sagt Hund, der auch Unternehmer berät. Von vielen wüsste er, dass sie gerade selbst eine Firma gründen wollten oder vor einer wichtigen beruflichen Veränderung stünden.

So geht es auch Sven Franzen. „Ich weiß gerade nicht so ganz, was ich will“, erzählt der 30-jährige Firmengründer aus Offenbach. Die Offenheit von Sonja Kreye hat ihn schwer beeindruckt. „Und das in Deutschland“, wie der Jungunternehmer betont. Er habe einige Jahre in Brasilien gelebt. Dort herrsche eine ganz andere Mentalität im Umgang mit wirtschaftlichem oder auch privatem Scheitern. Die Menschen würden das entspannter sehen. Hierzulande heiße es dagegen immer: „Höher, schneller, weiter!“, sagt Franzen und nimmt einen Schluck aus seiner Bierflasche.

Auch Referent Bert Overlack war einmal ganz oben. Viele Jahre hat er gemeinsam mit seinem Vater ein Familienunternehmen mit mehreren hundert Mitarbeitern geführt. Dann: Marktzusammenbruch und Insolvenz. Es folgte eine Depression. Erst als sein Sohn feststellte: „Mein Papa hat schon seit Jahren nicht gelacht“, habe er sein Leben noch einmal in die Hand genommen und neu angefangen, wie der Autor berichtet. Heute steht er selbst Managern beratend zur Seite.

Es gehe heute Abend nicht darum, das Scheitern zu feiern, hält Moderator und Pfarrer Stefan Hund fest. Mut machen, die Chancen im Scheitern entdecken – das treffe es eher. Das habe auch etwas zutiefst Theologisches, erklärt er und verweist auf die Ostergeschichte. Karfreitag lasse sich zunächst als Moment des Scheiterns bezeichnen – Jesus ist am Kreuz gestorben. Wenige Tage später, am Ostersonntag, sehe die Welt jedoch ganz anders aus. Die Bibel beschreibt die Auferstehung, Gott ist stärker als der Tod.

Aus der Niederlage lässt sich etwas lernen

Das Hoffen und die Zuversicht seien christliche Motive, erklärt Hund. Jeder sollte sich nach einem Misserfolg fragen: Was kann ich daraus lernen? Oft bemerke man auch erst im Nachhinein, dass es vielleicht doch gut so war. „Es gibt keine Neuanfänge ohne Ende“, betont der Geistliche.In den USA stellten einige Firmen bewusst Manager ein, die schon einmal gescheitert seien, erzählt Hund, der einen Podcast über das Scheitern produziert. Solche Führungskräfte wüssten, wie man mit Krisen umgehe.

Geschäftsmann Overlack wirkt mit seinem Anzug wie ein Fremdkörper auf der hölzernen, rustikalen Bühne des Pubs mit den alten Straßenlaternen im Hintergrund. Sein Auftritt aber kommt an. Als er seinen Vortrag beendet, applaudieren die Gäste lange. Moderator Hund holt die Frau des Unternehmers auf die Bühne, Federica Paganelli stellt sich neben ihren Mann. „Es gibt wenige Ehen, die so etwas überleben“, sagt der Seelsorger zu dem Paar. Die drei kennen sich. Overlack stehen die Tränen in den Augen. Auch wenn er es mit Hilfe seiner Familie durch die schwere Zeit geschafft habe, betont der Ex-Manager: „Niemand scheitert gerne.“

Internet: www.fuckupnights.com; https://fun-ruhr.de/; www.fuckupnightsowl.de.