Von Lukas Philippi und Markus Geiler (epd)
„Mann des Übergangs“, „Konkursverwalter für 17 Millionen Mandanten“ oder „Kohls Musterschüler“ – Lothar de Maizière hat als letzter DDR-Ministerpräsident vor 30 Jahren viele mehr oder weniger schmeichelnde Zuschreibungen erhalten. Er gehört zu der seltenen Spezies von Politikern, die in einem bestimmten historischen Moment wie aus dem Nichts an die Spitze gespült wurden, um dann wenig später wieder aus der Politik zu verschwinden.
Am Montag (2. März) wird der langjährige Rechtsanwalt, CDU-Politiker, Zeitzeuge und Mitgestalter der deutschen Einheit 80 Jahre alt. Musik ist vielleicht die große Konstante in seinem Leben. Noch heute greift der studierte Bratschist im Ensemble gelegentlich zum Bogen. Seine aktive Zeit als Politiker dauerte dagegen gerade einmal gut ein Jahr. Dabei wäre er gerne noch früher wieder ausgestiegen, bereits am 3. Oktober 1990, dem Tag der Wiedervereinigung: „Im Prinzip war das, wozu ich Ende 1989 in die Politik gegangen bin, getan“, sagt er im Abstand von 30 Jahren dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Berlin.
Plötzlich Ministerpräsident
Selten hatte ein Wahlgewinner so unglücklich ausgesehen wie Lothar de Maizière am Abend des 18. März 1990. Entgegen allen Wahlumfragen hatte die von ihm angeführte „Allianz für Deutschland“ die erste freie Volkskammerwahl in der DDR mit mehr als 48 Prozent deutlich gewonnen. Das Parteienbündnis aus Ost-CDU, Deutscher Sozialer Union(DSU) und Demokratischem Aufbruch (DA) war nur wenige Wochen zuvor von de Maizière und dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) geschmiedet worden. De Maizière war erst im November 1989 Vorsitzender der Ost-CDU geworden. Auf einen Wahlsieg der bisherigen Blockpartei, die noch wenige Wochen zuvor das marode SED-Regime gestützt hatte, schien er nicht vorbereitet. So wirkte er fast abwesend, als er sich im Blitzlichtgewitter, umzingelt von TV-Kameras, durch das Gewühl im damaligen Ost-Berliner Palast der Republik schob. Ihm sei in diesem Moment deutlich geworden, was da auf ihn zukomme, sagt de Maizière später.
Als Anwalt für Wirtschafts- und Steuerrecht habe er die ökonomische Lage der DDR gut einschätzen können und gewusst, dass das Land wirtschaftlich kurz vor dem Kollaps stand. Viel Gestaltungsspielraum blieb dem 1940 im thüringischen Nordhausen geborenen Rechtsanwaltssohn in seiner nur achtmonatigen Regierungszeit nicht. Zu massiv war das Bestreben des Machtpolitikers Kohl, die Gelegenheit nach einer schnellen deutschen Vereinigung nicht verstreichen zu lassen. De Maizière, Cousin des ehemaligen Bundesinnenministers Thomas de Maizière (CDU), verstand sich als Vertreter eines Bildungsbürgertums, das es in der DDR eigentlich nicht mehr geben sollte. Nach dem Abitur am Ost-Berliner Gymnasium zum Grauen Kloster 1958 studierte er zunächst Bratsche. Wegen einer Erkrankung musste er den Bratschisten-Beruf aber aufgeben, studierte in einem Fernstudium Jura an der Humboldt-Universität und wurde mit 35 Jahren Rechtsanwalt. 1987 wählte das Kollegium der Berliner Rechtsanwälte de Maizière zum Stellvertreter des damaligen Vorsitzenden Gregor Gysi, mit dem er bis heute befreundet ist.
Für ihn schlossen sich Christsein und politisches Engagement in der DDR nicht aus
Zu seinen anwaltlichen Tätigkeiten gehörte nach eigenem Bekunden auch die Verteidigung von Menschen in der DDR, die mit dem SED-Regime in Konflikt geraten waren, wie beispielsweise Regine und Wolfgang Templin. Dadurch habe er auch Kontakt zur Stasi gehabt, das sei als Anwalt in der DDR normal gewesen, sagt er. Zudem hatte die Stasi einen Zweitschlüssel zu seiner Kanzlei, wie de Maizière aber erst nach der Wiedervereinigung aus Akten erfuhr. Als Mitte Dezember 1990 Vorwürfe gegen ihn erhoben wurden, er habe als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) „Czerni“ für die Stasi gearbeitet, trat er als Bundesminister für besondere Aufgaben zurück, im Herbst 1991 dann auch von seinen Parteiämtern.
Obwohl die Anschuldigungen weitgehend entkräftet wurden, zog der Vater von drei Töchtern sich in den Folgejahren vom politischen Parkett zunehmend zurück und arbeitete wieder als Rechtsanwalt. Männer des Übergangs seien immer Männer mit Verfallsdatum, sagte er einmal rückblickend. De Maizière gehörte zu den relativ wenigen DDR-Christen, für die sich Kirchenmitgliedschaft und aktive politische Mitarbeit nicht ausschlossen. Gysi nannte ihn einmal „ein bourgeoises Fossil“. Bereits 1956 trat der überzeugte Protestant der Ost-CDU bei, eine der vier DDR-Blockparteien. Von 1985 bis 1990 gehörte er auch der Synode des Bundes der Evangelischen Kirche der DDR an. In den turbulenten Monaten zwischen dem 18. März und dem 3. Oktober 1990 hatte de Maizière dem Kohlschen Fahrplan zur deutschen Einheit wenig entgegenzusetzen.
„Mein Ziel war es, dass die Ostdeutschen nicht unter die Räder kommen“, sagt er wenige Tage vor seinem 80. Geburtstag. Dies sei ihm weitgehend gelungen, findet er im Rückblick, um dann aber doch zu bemängeln, dass sich heute immer noch zu wenig Ostdeutsche in Führungspositionen wiederfänden. Die Debatte über Benachteiligung und fehlende Wertschätzung „wäre viel früher notwendig gewesen“, kritisiert er. Früher seien die Unzufriedenen bei der PDS gelandet, heute bei der AfD.