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Koloniale Spuren in Hamburgs Innenstadt

„Aus Sicht der Hamburger Kaufleute war der Rest der Welt ein Rohstofflager“, sagt Angela Kandt von Stattreisen Hamburg. Auf einem postkolonialen Stadtrundgang, organisiert vom evangelischen Frauenwerk Hamburg-West/Südholstein, führt sie rund 25 Teilnehmende durch Hamburgs Innenstadt. Sie regt dazu an, genauer hinzuschauen. Denn koloniale Spuren sind an vielen Orten sichtbar: an Häuserfassaden, an Straßennamen, im Kontorhausviertel.

„Europa wird hier als Zentrum des Handels, technischen Fortschritts und der Kultur dargestellt. Afrika dagegen als Lager für Rohstoffe“, erläutert Kandt anhand der Wappen auf der Fassade der Hamburger Handelskammer. Diese sei als „Kommerz-Deputation“ lange vor dem Rathaus fertiggestellt worden und habe den Reichtum der Hamburger Kaufleute beheimatet: „Die Hamburger Kaufleute haben in der Kolonialzeit sehr viel Geld verdient. Dieser Kolonialhandel ist immer mit Gewalt verbunden.“ Die klischeebelasteten Darstellungen schwarzer Afrikanerinnen und Afrikaner an der Fassade der Handelskammer und des Rathauses machen klar: Rassismus und Kolonialismus gehen Hand in Hand.

Das Frauenwerk habe den Stadtrundgang als Verbindung zwischen dem von den Cookinseln ausgehenden Weltgebetstag 2025 und dem aus Nigeria kommenden Weltgebetstag 2026 geplant. Beide Staaten sind ehemalige Protektorate des Vereinigten Königreichs. „Wir sehen immer wieder, dass Kolonialismus ein Thema ist, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen“, erklärt Kelly Thomsen, Referentin im Frauenwerk Hamburg-West/Südholstein. Auch Deutschland müsse sich mit seiner eigenen Kolonialvergangenheit beschäftigen.

Die Hamburger Stadtgeschichte sei eng mit der des deutschen Kolonialismus verknüpft. „Die Hamburger Kaufleute rund um die Handelskammer haben Druck auf die deutsche Regierung und Otto von Bismarck ausgeübt, ihre Geschäfte in Afrika durch die Errichtung von deutschen Kolonien zu schützen“, sagt Angela Kandt. So lud Bismarck 1884 Vertreter europäischer Kolonialmächte dazu ein, den Kontinent unter sich aufzuteilen. Deutschland nahm sich Gebiete in Ost- und Westafrika. Die Rechte der afrikanischen Bevölkerung wurden vollkommen missachtet. Kein einziger Vertreter des Kontinents sei zur Konferenz eingeladen gewesen. Während die kolonialisierten Gebiete ausgebeutet wurden, wurden die Hamburger Kaufleute reicher und reicher. „Am Ende hat die ganze Stadt vom deutschen Kolonialismus profitiert“, sagt Kandt.

Über den Hamburger Hafen gelangten unzählige Produkte aus den kolonialisierten Gebieten, sogenannte Kolonialwaren, nach Deutschland und Europa. Gehandelt wurde mit Rohstoffen wie Kaffee, Kautschuk, Kakao und Mineralien. Aber auch mit Menschen. „Es ist erschreckend, wie unmoralisch die Verdinglichung des Menschen praktiziert wurde“, sagt Pastorin Uta Gerstner von der Fachstelle Geschlechtergerechtigkeit Hamburg-Ost. Die andauernde rassistische Objektifizierung und unmenschliche Behandlung von BIPoC (Black, Indigenous, People of Color) wird während des Rundgangs immer wieder deutlich. Kandt berichtet von unzumutbaren Arbeitsbedingungen auf den Plantagen der Hamburger Kaufleute in den deutschen Kolonien. Die Kaufleute hätten auch vom Sklavenhandel in andere Länder profitiert. „Zu den sogenannten ‘großen Schätzen Afrikas’ gehörten für die Hamburger Kaufleute nicht nur Rohstoffe und die Fruchtbarkeit des Bodens, sondern die Arbeitskraft von Millionen Menschen, die schamlos ausgebeutet wurde“, sagt Kandt.

Der Hafen bildet die letzte Station des Rundgangs. Zwischen 1904 und 1908 wurden von dort deutsche Soldaten nach Deutsch-Südwest-Afrika geschifft, um die Aufstände der Nama und Herero niederzuschlagen. „Die Interessen der im heutigen Namibia agierenden deutschen Firmen und Handelshäuser sollten durch die deutsche Armee geschützt werden“, erläutert Kandt. Dieser sogenannte Schutzfall mündete in einem Genozid an den Nama und Herero. Die Bevölkerung wurde ausgehungert, vertrieben und in eigens errichtete Konzentrationslager verschleppt. In der Wissenschaft werde dieser Völkermord als erster Genozid des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Zwischen 65.000 und 85.000 Herero und 10.000 und 20.000 Nama wurden getötet.

„In der Hauptkirche St. Michaelis erinnert heute noch eine Plakette an tote deutsche Kolonialsoldaten. Eine Erinnerung für die getöteten Herero und Nama dagegen gibt es nicht“, berichtet Kandt. Dieses Beispiel mache deutlich, wie die unkritische Erinnerung an die deutsche Kolonialzeit in der Hamburger Innenstadt weiter bestehe: „Noch immer werden Namen von Sklavenhändlern für Straßen verwendet und exotisierende und rassistische Darstellungen von BIPoC sind überall in Hamburg präsent.“ Auf diese kolonialen Kontinuitäten wolle der Stadtrundgang aufmerksam machen.