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Kleine Geschichte des “Palästinensertuchs” Keffiyeh

Wer das Palästinensertuch trägt, gilt schnell als militant. Dabei hat die Keffiyeh eine lange Tradition und Vielfalt. Erst in den 1930er Jahren kam eine politische Komponente hinzu.

Das Palästinensetuch hat im ganzen arabischen Raum eine lange Tradition und Vielfalt
Das Palästinensetuch hat im ganzen arabischen Raum eine lange Tradition und VielfaltImago / SOPA Images

“Kufiyah”, aus Kufa (Irak) stammend: Nüchtern-pragmatisch und ganz und gar unpolitisch ist der Name eines Stück Stoffs, das Männern im gesamten arabischen Raum als Schutz gegen Sonne, Sand und Wind dient. Für die Palästinenser wurde ihre schwarz-weiße Variante, die Keffiyeh, zum politischen Symbol: zuerst gegen die britische Mandatsmacht, dann gegen Israel. Kein anderes Stück Stoff steht so für den Kampf um nationale Unabhängigkeit. Als Symbol der Solidarität mit den Palästinensern oder einfach als Mode schwappte das “Pali-Tuch”, ostdeutsch “Arafat-Tuch”, auch nach Deutschland.

Zeig mir dein Kopftuch, und ich sage dir, wer du bist: Der Stoff für das arabische Haupt hat viele Farben, Namen und Formen. Ob Hatta, Ghutra oder Shemagh, im einfarbigen Weiß der Golfstaaten und der libanesischen Bekaa-Ebene, in jordanischem Rot-Weiß oder einer der unzähligen Abstufungen von Blassblau bis Dunkelgrau in Ägypten. Ob als Turban oder mit Hilfe einer Kordel auf dem Kopf gehalten: Wird die Keffiyeh traditionell getragen, sagt sie etwas aus über die Herkunft des Trägers. Eines hingegen kann man aus dem Kopfschmuck nicht ablesen: ob sein Träger Druse, Muslim oder Christ ist, denn die Keffiyeh ist im Nahen Osten eine religionsübergreifende Tradition.

Einst unterschied das Kopftuch die einfache Landbevölkerung von gebildeten Städtern

Einst unterschied das Kopftuch der Bauern und Beduinen die einfache Landbevölkerung von gebildeten Städtern. Deren Häupter zierte der Tarbusch, die zylindrische rote Filzkappe, auch Fez genannt, die mit den Osmanen Einzug in die Region erhalten hatte. Jüdische Einwanderer in osmanischer und Mandatszeit übernahmen sowohl Keffiyeh wie auch Tarbusch als Teil des authentischen nahöstlichen Lebensstils, wie alte Aufnahmen belegen.

Palästinensertücher an einem Stand in der Türkei
Palästinensertücher an einem Stand in der TürkeiImago / imagebroker

Erst in den 1930er Jahren, im arabischen Kampf gegen die britische Mandatsmacht, erhielt die Keffiyeh eine politische Bedeutung. Die städtische Bourgeoisie habe in dieser Zeit den Tarbusch abgelegt und das bäuerliche Kopftuch übernommen, beschreibt es die in Amsterdam lehrende Kulturhistorikerin Jane Tynan in einem Artikel. Eine Umkehr der sozialen Hierarchie, die zugleich das Nationalgefühl stärkte. Der einheitliche Dresscode und die Tatsache, dass man mit dem Stofftuch auch das Gesicht verhüllen konnte, erschwerte es den Briten, Aufständische zu identifizieren.

Zu Besuch in der Keffiyeh-Fabrik Palästinas

Spätestens mit PLO-Führer Jassir Arafat erreichte die Keffiyeh palästinensischen und internationalen Kultstatus. Statt wie die Alten um den Kopf, banden die Jungen sich den Stoff um den Hals, als Zeichen der palästinensischen Sache. Es war die Zeit, in der auch Frauen anfingen, die Keffiyeh als Schals zu tragen, erklärte die palästinensisch-amerikanische Kostümforscherin Wafa Ghnaim im US-Sender “NPR”. Und es war die Zeit, in der die Keffiyeh als Pali- oder Arafat-Tuch in die 68er-Studentenproteste und die linke Szene einging.

Auch die Anfänge der heute einzigen Keffiyeh-Fabrik Palästinas fallen in diese Zeit. 1961 stellt Jassir Hirbawi seine ersten Webstühle in Hebron, arabisch Al-Khalil, auf. Namensvetter Arafat soll seine Tücher von dem Familienbetrieb bezogen haben. Als es dem palästinensischen Tourismus besser ging, kamen viele Besucher in die Fabrik ein paar hundert Meter oberhalb der Altstadt: Ein Blick in die Produktion, ein Foto vor dem übergroßen Bild des Palästinenserführers Arafat, zu dessen Markenzeichen die schwarz-weiße Keffiyeh gehörte, und dann ein Gang durch den einem Beduinenzelt nachempfundenen fabrikeigenen Laden waren Teil der Tour. Stolz und gern empfing man Besucher und Journalisten, um das Bewusstsein für ein gefährdetes Erbe zu schärfen.

Über das Stück Stoff “Made in Palestine” gibt es viel zu sagen

Seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 und dem Gaza-Krieg bleiben in Hebron wie überall im Land die Besucher aus. Geschäftsführer Judeh Hirbawi ist schweigsam geworden. Nicht, dass es über das Stück Stoff “Made in Palestine” nichts zu sagen gäbe. Die israelische Armee habe ihnen gedroht, keine mediale Aufmerksamkeit zu erregen – andernfalls werde die Produktion platt gemacht.

In der kleinen Halle läuft die Herstellung unterdessen an 14 der 15 Webstühle auf Hochtouren. Unter rhythmischem Klackern schießen Garnschiffchen durch die Webfächer. Meter um Meter entstehen Muster, die an ein Fischernetz erinnern, klassisch palästinensisch schwarz auf weiß, in den palästinensischen Nationalfarben schwarz-rot-grün-weiß und in wilden Farbkombinationen, in deren Vielfalt eine Musterwand am Ende der Produktionshalle Einblick gewährt. Die Geschäfte laufen gut, sagt Hirbawi nach langem Zögern dann doch, vor allem dank Bestellungen aus dem Ausland.

In Deutschland sorgt das Palästinensertuch für Nervosität

Weltweit ist das Fischernetzdesign längst nicht mehr auf das Kopftuch beschränkt und ziert nun auch T-Shirts und Kleider, wie etwa von dem US-amerikanischen Model Bella Hadid auf dem Film-Festival Cannes vorgeführt. Provozierend erweitert wird die Palette durch zionistisch inspirierte weiß-blaue Keffiyehs mit Davidstern oder hebräischen Buchstaben, als Konterkarikatur des palästinensischen Freiheitssymbols.

 

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In Deutschland sorgt das schwarz-weiße Palästinensertuch mitunter für Nervosität. Eine Berliner Schule sagte eine Abiturfeier ab, weil Schüler mit dem Stoff ihre Solidarität mit den Palästinensern ausdrücken wollten.

Auch in Hebron, wo einige hundert israelische Siedler geschützt von der Armee leben, kommt es mitunter zu heftigen Reaktionen, erzählt Judeh Hirbawi. Einem Freund hätten israelische Soldaten an einem Checkpoint seine Keffiyeh zerrissen. Im arabischen Teil der Altstadt lässt man sich von solchen Geschichten nicht beeinflussen. Hier prägt das “Pali-Tuch” weiterhin das Stadtbild: Als Ware in den wenigen geöffneten Läden und auf den Häuptern der älteren Männer hinter den Tresen und in den Cafes.