In evangelischen Kirchengemeinden gehört der Kampf gegen die soziale Isolation zum Alltag. Mit vielfältigen Angeboten von Frühstückstreffen bis Seniorenchören bieten sie Gemeinschaft und Unterstützung für alle Altersgruppen. Ehrenamtliche und Hauptamtliche arbeiten täglich daran, Einsamkeit zu lindern und soziale Netze zu knüpfen.
„Tous les garçons et les filles de mon age …“. Neulich ist die Interpretin dieses Chansons, Françoise Hardy, im Alter von 80 Jahren gestorben. Ihr Song, der sie Anfang der 1960er Jahre berühmt machte, handelt vom Alleinsein eines jungen Menschen. Der Erfolg des Schlagers zeigt, dass das Thema Einsamkeit seit eh und je eines junger wie alter Generationen ist.
Glaube und Gemeinschaft sind seit biblischen Zeiten die Weggefährten der Einsamen: „Wende dich zu mir und sei mir gnädig, denn ich bin einsam und elend“ (Psalm 25,16). Der Bibelvers könnte als Überschrift über Angeboten von Evangelischen Kirchengemeinden und Initiativen stehen, die sich – ohne dies beim Namen zu nennen – der Abwehr von Einsamkeit in Berlin, Brandenburg und der schlesischen Oberlausitz verschrieben haben. „Die meisten Menschen haben das Bedürfnis nach Gemeinschaft, wollen nicht allein sein, sondern bekannte Leute und Gesichter treffen“, schreibt beispielhaft eine ehrenamtliche Mitarbeiterin der evangelischen Kirchengemeinde in Berlin-Kreuzberg, die die Frühstücksstube in der Emmauskirche regelmäßig herrichtet.
Einsamkeit zieht sich durch alle Schichten
Hier treffen sich zumeist Menschen im mittleren oder Seniorenalter, viele sind bedürftig oder sozial verarmt. Wem die Mittel fehlen, der ist auf Kontakte in der Nähe angewiesen. Selbst in Zeiten des Mitgliederschwunds sind evangelische Kirchengemeinden gut erreichbar, wenn einem die Decke auf den Kopf fällt. Manche Kirchengemeinden bieten gemeinschaftsstiftende Anstrengungen, etwa am vergangenen Sonntag. Da organisierte die Evangelische Kirchengemeinde zusammen mit der Gemeinde Mühlenbecker Land die „längste Tafel der Nachbarschaft“ in Zühlsdorf.
Neuerdings werden vielerorts staatliche „Einsamkeitsbeauftragte“ angestellt – sie könnten in die unzähligen Kirchengemeinden in die Lehre gehen, wo tagtäglich gegen Einsamkeit gekämpft wird. Pfarrerinnen, Pfarrer, Gemeindepädagogen und Ehrenamtliche sind seit jeher „Einsamkeitsbeauftragte“ vor Ort. Ihren alltäglichen Feldzug gegen die Einsamkeit kann man an den Terminen von Kirchengemeinden ablesen, zum Beispiel in der Cottbuser Klosterkirchengemeinde, wo ein knappes Dutzend Gemeinschaftsangebote für Jung und Alt aufgelistet sind. Ähnlich variantenreich ist das Angebot der evangelischen Kirchengemeinde in Berlin-Karow, die aus mindestens drei Milieus besteht, wie Pfarrer Jörg Zabka berichtet – dem Dorfkern in Alt-Karow, Neubaugebieten mit sozial schwieriger Durchmischung und einem Siedlungsbereich, der von Einfamilienhäusern dominiert ist.
Nicht jeder traut sich
Jörg Zabka sagt dazu: „Zumeist sind es Bewohner des alten Dorfkerns, die unsere Gottesdienste und unsere Angebote besuchen, etwa Gesprächs- oder Bibelkreise. Leider kommen die wenigsten aus dem Neubaugebiet. Aber wir versuchen schon, alle zu erreichen, zumal die ältere Generation.“ Das sei nicht immer einfach, so Zabka, weil die Hemmschwelle hoch ist. Manchmal hilft Musik und Bewegung: Bei den Seniorinnen und Senioren in Karow sind Chöre für alte Menschen und Seniorentanzgruppen beliebt. Manchmal muss der Pfarrer Starthilfe geben. Erst neulich, sagt Zabka, habe er eine Frau begleitet, die sich zunächst nicht getraut habe, in die Kaffeerunde der Senioren als Neuling zu gehen. Es klappte.
Hilfreich kann auch der „klassische“ Besuchsdienst für Geburtstagskinder sein, die regelmäßig von Ehrenamtlichen aus der Gemeinde beglückwünscht werden – oder ein Besuchsdienst, den die 80-jährige Dagmar Schiele aus Berlin-Schlachtensee, seit mehr als 25 Jahren im Berliner Evangelischen Krankenhaus Hubertus koordiniert und selbst versieht. Zur Gruppe gehören zwischen 10 und 15 Ehrenamtliche, die regelmäßig – zumeist geriatrische –Patienten besuchen. Schiele: „Oft geht es um die Familien, meist um die Sorge, ob und wann sie wieder in ihre häusliche Umgebung kommen. Ich habe noch nie jemanden gefunden, der sich nicht mit mir unterhalten wollte.“
„Da komme ich endlich mal aus meiner Wohnung raus.“
Die Superintendentin des Kirchenkreises Potsdam, Angelika Zädow, berichtet von Erfolgserlebnissen mit einer Seniorenkantorei, die auf großes Interesse bei älteren Potsdamer Sangesfreudigen stoße, deren Stimme in klassischen Chören und Kantoreien nicht mehr so geschätzt werden. Jetzt zeigt die Seniorenkantorei regelmäßig, was sie kann – sehr zur Freude der Sängerinnen und Sänger. Es komme auf die Vielfalt von Angeboten an, sagt Zädow, auch für Seniorinnen und Senioren. Nicht jeder gibt sich mit Plaudereien bei Kaffee und Kuchen zufrieden. Neulich sei sie während einer Mahnwache vor der örtlichen Synagoge mit einer Seniorin ins Gespräch gekommen, die sich für neue Themen aufgeschlossen zeigte: „Da komme ich endlich mal aus meiner Wohnung raus.“
Eine gute Themenmischung herrscht auch in der evangelischen Kirchengemeinde Berlin-Weißensee, wo Martina Walker für die
Seniorenarbeit zuständig ist. Das Angebot habe sich auf der Basis eine Fragebogens herausgebildet, den der Gemeindekirchenrat
verschickte. Mit Erfolg: Eine sportlich engagierte Gruppe im Alter von 60 und darüber hinaus hat sich gebildet, die demnächst die ehrgeizige Strecke zwischen Potsdam-Babelsberg und Berlin-Weißensee unter die Fahrräder nehmen will. Es gibt eine Wandergruppe, auch einen Literaturkreis. Im Augenblick liest und spricht man über Laetitia Colombani und Maxim Leo. Hauptamtliche wie Martina Walker schieben solche Gemeinschaften oft nur an, dann übernehmen engagierte Ehrenamtliche in Eigenregie.
Ein festes Netz gegen die Isolation
Diesem Prinzip folgen auch Programme der Evangelischen Bildungsstätte Berlin-Reinickendorf, wohin manche kommen, um das unangenehme Gefühl der Einsamkeit mit dem Nützlichen und Angenehmen zu bekämpfen. Sie werden Familienpaten, kümmern sich und begleiten. „Alleinstehende Menschen, egal welchen Alters, egal welchen Geschlechts finden durch die Familienpatenschaft auch Familienanschluss. Ein Synergieeffekt“, freut sich Christin Reuter, die Leiterin der Evangelischen Familienbildung in Reinickendorf, einer Initiative des Kirchenkreises. Familienpaten, die in Reinickendorf vermittelt und ausgebildet werden, entlasten und unterstützen junge Familien im Alltag. Meist finden die Einen zu den Anderen, nachdem sie sich im offenen Haus der Familienbildung
begegnet sind und eine Partnerschaft auf Zeit begründet haben. Christin Reuter meint: „Dort bieten wir ein Miteinander auf Augenhöhe an und ein festes Netz gegen Einsamkeit, das allen Beteiligten hilft.“