Jürgen Fischer hatte am 24. November eine nicht alltägliche Nachricht für die Gottesdienstbesucher. Die St. Martini-Gemeinde werde ihre Rechte und Pflichten innerhalb der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK) ruhen lassen, erklärte der Verwaltende Bauherr. Auch die Abraham-Gemeinde geht diesen Schritt. Es „ist genau unsere große Sorge, dass die Glaubens-, Gewissens- und Lehrfreiheit und die herkömmliche Selbstverwaltung der Gemeinde mit der neuen Verfassung deutlich eingeschränkt wird“, schreibt Rüdiger Kurz, Pastor der Abraham-Gemeinde auf Anfrage. Eine Antwort der St. Martini-Gemeinde blieb aus.
Damit ziehen die St. Martini-Gemeinde mit Sitz in der Innenstadt gleich an der Weser und die Abraham-Gemeinde im Ortsteil Kattenesch eine Option, die es in dieser Form innerhalb der evangelischen Landeskirchen nur in Bremen gibt. „Wenn eine Gemeinde von vornherein es abgelehnt hat, an dem Kirchentage und den übrigen aufgrund dieser Verfassung entstehenden gemeinschaftlichen Einrichtungen und Ordnungen der Bremischen Evangelischen Kirche teilzunehmen, oder wenn eine Gemeinde später einen solchen Beschluss fasst, so ruhen ihre Rechte und Pflichten gegenüber der Bremischen Evangelischen Kirche“, heißt es in Paragraf 1, Absatz 3, der Verfassung von 1920.
Pastoren sind dienstrechtlich weiter dem Kirchenausschuss unterstellt
Übersetzt ins 21. Jahrhundert: Weder St. Martini noch Abraham sind in den BEK-Gremien vertreten und treffen demnach keine Entscheidungen mit. Sollten beide Gemeinden wieder in der BEK mitarbeiten wollen, müssen sie hierfür einen Antrag stellen. Dieser wird jeweils vom Kirchentag entschieden, wie die Synode an der Unterweser heißt. In Paragraf 1, Absatz 2, steht auch: Der Kirchentag „kann die Genehmigung des Antrages an Bedingungen, insbesondere finanzieller Art, knüpfen.“ Diese Fälle gab es seit Verkündung der mehrere Male.
Ganz raus sind die beiden Gemeinden indes nicht, erläutert BEK-Sprecher Matthias Dembski. Sowohl Kurz als auch Olaf Latzel, umstrittener Pastor der St. Martini-Gemeinde, seien dienstrechtlich dem Kirchenausschuss unterstellt. Auch die Zuweisungen aus den Kirchensteuern bekommen beide Gemeinden weiterhin. Zudem werde sich die Bremische Evangelische Kirche weiterhin um alle baurechtlichen Fragen kümmern. Zudem ist aus BEK-Kreisen zu vernehmen: Auswirkungen auf die Arbeit der Landeskirche hat der Rückzug keine, da beide zu den kleinen gehören – zum 1. Juli hatte die Abraham-Gemeinde 1.246, St. Martini 1.097 Mitglieder.
Kirchengemeinden können nicht aus der Landeskirche austreten
Sollten weitere Bremer Gemeinden auf ihre Rechten und Pflichten verzichten, müssen sie dies bis 31. Dezember erklären. Der Grund: Am 1. Januar tritt die neue BEK-Verfassung in Kraft. Darin ist die Option von 1920 nicht mehr vorgesehen – die Bremer gleichen sich den anderen Landeskirchen beziehungsweise den Regeln der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) an. „Eine Kirchengemeinde kann aus einer Landeskirche nicht austreten, da die Grundordnungen und Kirchenverfassungen der Gliedkirchen in der EKD diese Option nicht vorsehen“, sagt ein Sprecher. Er ergänzt: „Die Zugehörigkeit einer Kirchengemeinde zur Landeskirche ist untrennbar und dauerhaft, was bedeutet, dass eine Kirchengemeinde ihre Mitgliedschaft nicht einfach beenden oder aussetzen kann.“ Analog äußern sich die EKD-Gliedkirchen.
Dass die Abraham und die St. Martini-Gemeinde ihre Rechte und Pflichten ruhen lassen werden, hat sich bereit in der ersten Jahreshälfte im Rahmen der Diskussion über die neue Verfassung abgezeichnet. So legte die St. Martini-Gemeinde im Mai Widerspruch gegen das Artikelwerk ein. Abraham zog nach. Ihre Begründung: Paragraf 1, Absatz 2, der die „Glaubens-, Gewissens- und Lehrfreiheit der Gemeinden“ garantiert, steht zwar auch in der neuen Verfassung, „aber nun gleichwertig neben einer ganzen Reihe von Paragrafen, die eben diese Freiheiten nun einschränken“, erläutert Pastor Kurz. Und: „Da besteht die ganz große Sorge, dass in einer Abwägung der einzelnen Paragrafen dann eine andere Gewichtung entsteht, etwa wenn die Rechte Einzelner oder der Gesamtkirche denen der Gemeinde gegenübergestellt werden.“
Gemeinde und Landeskirche hoffen, wieder ins Gespräch zu kommen
Deren Vertreterinnen und Vertreter strebten vielmehr einen „Kirchenvertrag zur Regelung der kirchenverfassungsrechtlichen Stellung“ beider Gemeinden an. Damit stießen sie jedoch beim zuständigen Kirchenausschuss auf taube Ohren. Viele der BEK-Regelungen würden damit nicht für diese Gemeinden gelten, so die Begründung. Seitdem herrscht zwischen beiden Seiten Funkstille. Kurz betont: „Wir hoffen, dass das Tischtuch nicht endgültig zerschnitten ist.“ Beide Gemeinden hoffen, mit der BEK wieder ins Gespräch zu kommen, „wenn sich die Wogen ein wenig geglättet haben.“
Zudem besteht für die Gemeinden auch unter der neuen Verfassung die Möglichkeit zur kompletten Rückkehr in den Schoß der Landeskirche. Hierzu können St. Martini und Abraham ihren Antrag auf Basis des Werks von 1920 stellen.