Das Bundesverfassungsgericht befasst sich in seiner mündlichen Verhandlung am 28. Juni mit den Prüfungsbedingungen und Hilfsangeboten für Schülerinnen und Schülern mit Lese-Rechtschreibe-Störungen. Konkret geht es um die Frage, ob Schulen in den Abiturzeugnissen vermerken dürfen, dass die Rechtschreibung von Legasthenikern nicht in die Prüfungsnoten einfließt.
Drei Kläger und Klägerinnen aus Bayern wehren sich gegen entsprechende Vermerke. Sie sehen sich diskriminiert und einen Verstoß gegen die Pflicht zur Gleichbehandlung von Menschen mit Behinderungen. Die Zeugnisnotiz sei eine große Benachteiligung – etwa bei Bewerbungen um einen Studien- oder Arbeitsplatz. In den Vorinstanzen haben die Gerichte unterschiedlich entschieden.
Fachlich genauso kompetent
Personen mit Lese- und Rechtschreibestörungen sind grundsätzlich fachlich genauso kompetent wie Personen ohne Legasthenie. Sie haben aber Schwierigkeiten, ihr Wissen schriftlich darzulegen. Die Ursachen der Störung liegen in genetisch bedingten Einschränkungen des Sprachzentrums im Gehirn und sind laut Experten nicht auf geringe Intelligenz oder fehlende Beschulung zurückzuführen.
Genaue Statistiken zur Zahl von Legasthenikern gibt es nicht, Experten gehen von fünf bis zehn Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Das wären bis zu acht Millionen Menschen in Deutschland.
Dabei hat etwa ein Drittel der Betroffenen Schwierigkeiten mit Lesen und Schreiben, je ein weiteres Drittel nur beim Lesen oder beim Schreiben. Bei einigen kann zusätzlich noch Dyskalkulie auftreten, eine Rechenstörung.
Bisher fehlen einheitliche Regeln
In Deutschland gibt es, weil Bildung Ländersache ist, keine einheitlichen Regeln für die Leistungsbewertung von Schülern mit Lese-Rechtschreibe-Störungen. Manche Bundesländern gewähren Erleichterungen nur in den unteren und mittleren Klassen. Auch werden die Hilfen nicht in allen Abiturzeugnissen vermerkt.
Zumeist unterscheiden die Schulverwaltungen zwischen einem Nachteilsausgleich und einem Notenschutz. Nachteilsausgleich heißt, dass Legastheniker beispielsweise längere Bearbeitungszeiten für schriftliche Klausuren bekommen. Dies wird mit der Behinderten-Antidiskriminierung begründet. Notenschutz bedeutet, dass Rechtschreibung nicht in die Note einfließt. Hierin sieht die bayrische Schulverwaltung eine Bevorzugung von Legasthenikern und besteht auf einem entsprechenden Hinweis im Zeugnis.