Siegessicher ist Matteo Salvini am Freitag in Palermo vor Gericht erschienen. „Ich bin absolut stolz auf das, was ich getan habe, ich habe meine Versprechen gehalten, ich habe die Massenmigration bekämpft“, wiederholte der Vize-Premier Italiens seine Slogans der vergangenen Wochen. Er würde alles, was er getan hat, immer wieder tun. „Ich werde auf keinen Fall aufgeben.“
Im August 2019 hatte Salvini als Innenminister Italiens dem NGO-Schiff „Open Arms“ mit rund 150 Migranten an Bord die Einfahrt in den Hafen von Lampedusa untersagt. Dafür war der Vorsitzende der rechtspopulistischen Lega wegen Freiheitsberaubung und Amtsmissbrauch angeklagt worden.
Siegessicher ist er dann auch den Tag über durch Palermo spaziert. Während sich die Richter zur Beratung zurückgezogen hatten, posierte Salvini für zahlreiche Fotos mit Anhängern. Verlieren konnte er an diesem Tag theoretisch nicht. Fast schien es so, als wünschte sich Salvini eine Verurteilung. Am Abend dann das Urteil: Freispruch. Drei Jahre lang dauerte der Prozess vor dem Gericht in Palermo. Die Staatsanwaltschaft hatte sechs Jahre Haft gefordert.
Die Crew hatte zuvor Dutzende Menschen aus dem Mittelmeer gerettet, die sich in seeuntauglichen Booten von der Küste Afrikas auf den Weg nach Europa gemacht hatten. Die Migranten mussten wegen Salvinis Weigerung fast drei Wochen lang an Bord der „Open Arms“ ausharren. Die Crew des Schiffes der spanischen NGO berichtete in dieser Zeit über die sozialen Netzwerke von unhaltbaren Zuständen an Bord des komplett überfüllten Schiffes. Manche der Migranten sprangen verzweifelt ins Wasser und versuchten nach Lampedusa zu schwimmen. Immer wieder wurden einzelne medizinische Notfälle und Minderjährige an Land gebracht.
Letztendlich hob die Staatsanwaltschaft von Agrigent das strikte Anlegeverbot Salvinis aus humanitären Gründen auf und ordnete an, alle Migranten von der „Open Arms“ an Land zu bringen.
Damals war Matteo Salvini auf dem Zenit seiner politischen Macht. Als Innenminister des ersten Regierungskabinetts von Giuseppe Conte in der Koalition zwischen Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung war der Mailänder mit seiner strikten Anti-Migrations-Politik der Star der politischen Rechten. Doch er wollte mehr und ließ genau in der Zeit der Festsetzung der „Open Arms“ die Koalition mit Conte platzen. Anders als von Salvini erhofft gab es aber keine Neuwahlen in Italien – die Fünf-Sterne-Bewegung nahm sich einfach einen neuen Koalitionspartner, dieses Mal den linken Partito Democratico.
Seitdem ging es für Salvini politisch bergab. Seine Partei, die Lega, stürzte von einst 30 auf heute rund 9 Prozent. Der neue Star der Rechten heißt schon länger Giorgia Meloni – und die hält sich stabil in dieser Rolle und ist die erste Frau im Amt des Ministerpräsidenten. Seit zwei Jahren regieren ihre Fratelli d’Italia zusammen mit der Lega und der Forza Italia in einer rechten Dreier-Koalition. Salvini ist darin Verkehrsminister und Vize-Premier. Und hat im Vergleich zu früher nichts mehr zu sagen.
Der Prozess in Palermo gab ihm nun wieder Aufwind – denn er hatte sein Thema zurück: die Migration. Seit Wochen inszenierte sich der 51-Jährige in den sozialen Netzwerken als Opfer einer angeblich politisierten Justiz. Von „kommunistischen Richtern“ ist da die Rede. In den Tagen vor dem Urteil zählte er einen Countdown runter, der mit theatralischen Kurzvideos gespickt war. Darin präsentiert sich Salvini als Patriot, der nie müde werde, die Grenzen seines Landes zu verteidigen. „Sollte ich verurteilt werden, wäre das keine Niederlage für mich, sondern für Italien und Europa, denn der Schutz der Grenzen ist eine Pflicht und kein Verbrechen“, sagte Salvini in einem der Clips.
Mit der drohenden Haftstrafe konnte er seine Anhänger wieder hinter sich scharen und die Kritik an seiner Rolle als Lega-Vorsitzender für deren schlechte Umfrageergebnisse verstummte wieder. Auch innerhalb der Regierungskoalition gewann Salvini durch den Prozess wieder an Boden. Regierungschefin Meloni betonte bereits vor Prozessende, sie werde auch bei einer Verurteilung Salvinis an ihm festhalten und ihn nicht seiner Ämter entheben. Eine Berufung, die der Minister bereits angekündigt hatte, hätte erneut Jahre gedauert.
Er hoffe, dass die Staatsanwaltschaft diesen Weg gehen werde, sagte Oscar Camps, der Direktor der spanischen NGO „Open Arms“ nach der Urteilsverkündung. Man warte noch auf die Urteilserläuterung der Richter. Die Enttäuschung der Seenotretter ist nicht zu verbergen. „Die Trauer gilt vor allem den Menschen, die – wie wir von Anfang an gesagt haben – ihrer Freiheit beraubt wurden“, sagte Camps. Mit diesem in der italienischen Geschichte einmaligen Prozess hätten die Aktivisten den Migranten von damals ihre Würde zurückgeben wollen.