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Italien wirbt in Berlin für eine andere Migrationspolitik

Die süditalienische Insel Lampedusa ist zum Symbol der neuen europäischen Migrationskrise geworden. Italiens Außenminister Antonio Tajani nutzt die Gunst der schweren Stunde – und reist am Donnerstag nach Berlin.

Angesichts wachsender Spannungen um die Verteilung von Migranten in Europa reist der italienische Außenminister Antonio Tajani am Donnerstag nach Berlin. Bereits am Montagabend hatte er in Paris mit Frankreichs Außenministerin Catherine Colonna über das Thema gesprochen, beide beschworen eine europäische Lösung des Problems. Ebenfalls am Donnerstag treffen sich die EU-Innenminister in Brüssel, um zu sondieren, wie die Einwanderung nach Europa wirksam reguliert und eine gerechte Verteilung der Lasten in der EU garantiert werden kann.

Tajani geht es darum, eine Lösung zu finden, die Italien nicht unverhältnismäßig belastet. Italiens große Nachbarländer im Norden sind seit Jahren das eigentliche Ziel Hunderttausender Migranten, die illegal über die Mittelmeerküsten einreisen. Doch viele bleiben in Italien. Auch dort sind immer mehr Aufnahmelager überfüllt, und in den Städten sorgt die Anwesenheit Tausender junger Männer für wachsenden Unmut.

Diverse EU-Vereinbarungen wie das Dublin-Abkommen von 1997 oder zuletzt der sogenannte Brüsseler Asylkompromiss vom Juni haben den Strom der Migranten aus Afrika und Asien nach Europa nicht bremsen können. Mittlerweile sind die Kapazitäten in vielen Ländern nahezu ausgeschöpft. Eine Folge: Die vereinbarte Rückführung in die ursprünglichen Einreiseländer (also vor allem nach Italien) wird von diesen blockiert. Im Gegenzug verweigern Frankreich und Deutschland den verabredeten Mechanismus einer solidarischen Verteilung von Neuangekommenen.

Symbol-Ort für Europas Migrationskrise ist die kleine Insel Lampedusa, wo unweit der nordafrikanischen Küste an manchen Tagen bis zu 2.000 Menschen auf Booten ankommen, um nach einer Ersterfassung auf andere Orte in Italien verteilt zu werden. Immer wieder kommt es hier zu dramatischen Szenen; aber erst nachdem das örtliche Kommunalparlament den Notstand ausrief, kam – auf Einladung von Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni – EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen persönlich auf die Insel und versprach Hilfe.

Lampedusa ist nicht der einzige Brennpunkt. Am anderen Ende Italiens liegt die Hafenstadt Triest. Dort, im Dreiländereck von Slowenien, Kroatien und Italien, endet eine der Balkanrouten. Auch hier nehmen die Spannungen zu. Allein in den ersten acht Monaten dieses Jahres sind dort knapp 14.000 Menschen angekommen, die Aufnahmelager sind überfüllt, manche landen in Illegalität und Obdachlosigkeit.

Anders verlaufen die Ströme im Nordwesten Italiens, an der Grenze nach Frankreich. Nahe dem Riviera-Städtchen Ventimiglia kommt es oft zu unschönen Szenen zwischen Migranten aus Afrika, die nach Frankreich wollen, und der Grenzpolizei. Rund 20.000 Menschen haben im vergangenen Jahr vergebens versucht, hier über die grüne Grenze zu kommen. Zäune, Stacheldraht und Polizei vereiteln viele dieser Versuche, die illegal nach Frankreich Weitergewanderten werden nach Italien zurückgebracht.

Zwischen Deutschland und Italien gibt es keine Landgrenze. Doch auch Rom und Berlin streiten darum, wer wie viele Migranten aufnehmen soll, weiterleiten darf oder zurücknehmen muss. Beide Seiten verweisen auf erschöpfte Aufnahme-Kapazitäten – und auf alte und neue EU-Abkommen.

Papst Franziskus, der sich am Wochenende in Marseille unmittelbar in die Migrationsdebatte eingemischt hat, verurteilte dies als “Ping-Pong-Spiel” mit Menschen. Und er forderte eine Abkehr von der Invasions- und Notstands-Rhetorik. Stattdessen sollten Europas Regierungen die Migration als “eine Gegebenheit unserer Zeit” ansehen, als einen “Prozess, der drei Kontinente rund um das Mittelmeer betrifft und der mit kluger Weitsicht gestaltet werden muss: mit einer europäischen Verantwortung, die in der Lage ist, die objektiven Schwierigkeiten anzugehen”.

Die Regierung Meloni hat lange zugesehen, wie sich die Reihe der in Lampedusa ankommenden Boote immer mehr staute, bis die Ausrufung des Notstands kaum noch zu vermeiden war. In manchen italienischen Medienkommentaren wird dies als ein ebenso zynisches wie erfolgreiches Kalkül bewertet: Meloni sei es auf diese Weise gelungen, selbst die Franzosen und die Deutschen dazu zu bringen, dass sie sich nun für eine Begrenzung des Zustroms am südlichen Einfallstor in die EU einsetzen.