Atomkraftgegner haben an Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer (Grüne) appelliert, den geplanten Einstieg des russischen Staatsunternehmens Rosatom in die Fertigung von nuklearen Brennelementen im emsländischen Lingen zu verhindern. Das Vorhaben gefährde die innere und äußere Sicherheit Deutschlands, sagte Bettina Ackermann von der Anti-Atom-Organisation „ausgestrahlt“ am Freitag in Hannover. Deshalb müsse die beantragte Genehmigung gestoppt werden. Umweltminister Meyer teilte mit, der Einfluss Russlands auf den Energiesektor in Deutschland und Europa bereite ihm „große Sorgen“.
Der Betreiber der Lingener Fabrik „Advanced Nuclear Fuels“ (ANF) – eine Tochter des französischen Atomkonzerns Framatome – will künftig auch Brennstäbe für Atomreaktoren russischer oder sowjetischer Bauart herstellen und an Atomanlagen überwiegend in Osteuropa liefern. Framatome hat dafür mit Rosatom ein Joint Venture gegründet. Rosatom ist direkt dem Kreml unterstellt und kontrolliert unter anderem das von Russland militärisch besetzte ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja.
„Wenn Rosatom in die Produktion einsteigt, drohen Spionage und Sabotage für Deutschland und für Atomanlagen in ganz Europa“, sagte Ackermann. Der Konzern diene dazu, den geopolitischen Einfluss des Kreml weiter auszubauen. Erst kürzlich hätten die Chefs der deutschen Nachrichtendienste nochmals eindringlich davor gewarnt, dass die Gefahr von Spionage und Sabotage durch Russland unterschätzt werde.
Gegen das Vorhaben haben rund 11.000 Bürger sowie große Umweltverbände Einwendungen erhoben. Darüber wird ab Mittwoch (20. November) bei einem atomrechtlichen Erörterungstermin in den Emsland-Hallen in Lingen diskutiert. Dabei werden Vertreter der ANF, des Umweltministeriums in Hannover und des Bundes anwesend sein. Für die Genehmigung des Antrags ist zunächst das niedersächsische Umweltministerium zuständig. Im Atomrecht können Entscheidungen der Länder allerdings vom Bund aufgehoben werden.
Alexander Vent vom Lingener Bündnis gegen Atomkraft berichtete, dass die ANF-Fabrik in Lingen derzeit nur zu 20 bis 30 Prozent ausgelastet sei. Deshalb wolle der Betrieb ein neues Geschäftsfeld erschließen. Vent betonte jedoch: „Sicherheit muss über Wirtschaftlichkeit stehen.“ Rosatom erhalte über das Joint Venture Zugang zu hochsensibler Atom-Infrastruktur in Deutschland.
Experten von Rosatom hätten bereits im Frühjahr russische Maschinen nach Lingen geliefert und in einem angemieteten früheren Möbelhaus aufgebaut, um dort Mitarbeiter der Brennelemente-Fabrik zu schulen, sagte Vent. So habe der Konzern bereits jetzt direkten und persönlichen Zugang zu zahlreichen Beschäftigten der Fabrik bekommen.
Minister Meyer betonte, ein Gutachten des Bundesumweltministeriums habe darauf hingewiesen, dass auch die Gefahren für die innere und äußere Sicherheit Prüfgegenstand des atomrechtlichen Verfahrens seien. Rosatom sei im besetzten ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja mit Vorwürfen von Folter und der Verwicklung in kriegerische Handlungen konfrontiert: „Geschäfte mit Russland sollten daher gerade im Nuklearbereich unterbleiben und nicht erneut verfestigt werden.“ Besser sei es, auf Brennelemente ohne direkte oder indirekte russische Beteiligung zu setzen, wie es Tschechien und die Ukraine bereits täten.
Die Brennelemente-Fabrik in Lingen ist vom deutschen Atomausstieg ausgenommen. Zudem erstrecken sich die westlichen Sanktionen gegen Russland bislang nicht auf den Nuklearsektor.