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„Ich würde mein Kreuz nicht verstecken“

Ibrahim Azar wird ab 2018 der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und dem Heiligen Land vorstehen. Am Rande des Jahresfestes des Berliner Jerusalemvereins nennt er die Herausforderungen seiner künftigen Arbeit und seine Sicht der politische Lage

Er ist der künftige neue Mann an der Spitze der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und dem Heiligen Land (ELCJHL): Der bislang in Jerusalem tätige Pfarrer Ibrahim Azar wurde Mitte Januar in Beit Jala zum Nachfolger von Bischof Munib Junan gewählt, im Januar 2018 wird er sein Amt als Nachfolger von Junan antreten. Am Wochenende war Azar, der in München Theologie studierte, beim Jahresfest des Berliner Jerusalemvereins zu Gast. Benjamin Lassiwe hat mit ihm gesprochen.

Pfarrer Azar, was sind die großen Herausforderungen, vor denen Ihre Kirche steht?
Unsere Kirche ist im letzten Jahrhundert gegründet worden, im Heiligen Land. Wir haben uns von einer Missionskirche zu einer selbstständigen Kirche entwickelt und haben seit 1979 einen eigenen arabischen Bischof. In den letzten Jahren war es wichtig für uns, auch weltweit zu zeigen, dass wir existieren und als Christen eine Rolle spielen.
Unser jetziger Bischof hat dabei eine große und wichtige Rolle gespielt. Wir sind überall bekannt und anerkannt. Und das finde ich sehr, sehr wichtig. In der Zukunft werden wir aber wieder stärker in die Kirche hineinschauen müssen. Die Arbeit mit den Gemeindegliedern muss wieder stärker werden, so dass wir die Kirche wieder stärker als eine Einheit wahrnehmen.

Wurden in diesem Bereich in den letzten Jahren Dinge vernachlässigt?
Vernachlässigt nicht, aber es war für unsere Kirche wichtig, in der Zeit der ersten und zweiten Intifada und des arabischen Frühlings sich mehr an die Außenwelt zu wenden. Es war uns wichtig, um die Kontakte und die Unterstützung der Christen im Heiligen Land zu haben. Aber man kann eben nicht alles auf einmal tun. Manche Dinge wurden zum zweiten Schwerpunkt. Die Beziehungen zwischen den Gemeinden und Gemeinemitgliedern haben unter vielen Bedingungen gelitten, vor allem durch die politische Situation, die Trennung zwischen Jerusalem und der West Bank, zwischen Jordanien und Israel und Palästina. Gegenseitige Besuche der Gemeinden sind mittlerweile sehr schwierig.

Wollen Sie das als Bischof ändern?
Ich will mich stärker für Gemeindebesuche, Gespräche, Veranstaltungen, Familienfreizeiten, Jugend- und Kinderfreizeiten und Begegnungen einsetzen. Damit die Gemeinden sich wieder öfter sehen und begegnen.

Wie sehen Sie die aktuelle Politik in der Region?
Politik ist ein Teil unseres Lebens. Als Kirche sind wir immer von der politischen Situation betroffen. Zur Zeit haben die Christen im ganzen Nahen Osten eine besondere Rolle. Sie leben in einer schwierigen Zeit. Sie kennen die Folgen des arabischen Frühlings, und wissen, was in den arabischen Ländern passiert ist. Die Christen im Heiligen Land sehen, was da passiert ist – und stellen fest, dass die Menschen, die unter dem arabischen Frühling am meisten gelitten haben, die Christen waren.
Deswegen fragen wir uns: Was wird aus uns, wenn sich bei uns die Religionen radikalisieren? Im Herzen der Menschen steckt die Angst davor, dass so etwas auch bei uns passiert.

Wie ist die Situation der Christen in Palästina heute?
Als Christen waren wir mal 15 Prozent der Palästinenser. Aber in Palästina und in Israel leben heute weniger als ein Prozent christliche Palästinenser. Das ist eine kleine Minderheit geworden.
Wir haben uns als Christen nie besonders von den Muslimen abgegrenzt. Wir haben immer gesagt: Wir sind ein Teil der Bevölkerung. Wir haben als arabische Christen in Palästina dieselben Rechte wie die Muslime, wir sehen uns als ein Volk mit zwei Religionen, Christentum und Islam.
Durch die Radikalisierungen der letzten Jahre im Islam haben wir auch zu spüren bekommen, dass einige islamische Gruppierungen gegen Christen sind, weil sie eine andere Religion haben. Aber in der Regierung Palästinas sind auch zwei Christen, und bevor die Verfassung Palästinas endgültig verabschiedet wird, wird auch die Meinung der christlichen Kirchen gehört.

Treten Sie für ein unabhängiges Palästina ein?
Wir sind für einen palästinensischen Staat, der offen ist für alle Religionen. Für einen Staat, der nicht den Islam als Staatsreligion hat – denn dadurch würden wir als Christen beschränkt. Für einen Staat, wo jeder Palästinenser das Recht hat zu leben.

Wie sehen Sie das Verhältnis zu Israel?
Als Palästinenser und Israelis haben wir eine lange Geschichte von Kriegen, Kämpfen und Hoffnungen. Wir leben seit 1967 unter Besatzung. Ich erinnere mich, als 1993 der Oslo-Vertrag unterschrieben wurde, herrschte Euphorie, die Menschen auf der Straße umarmten sich. Aber Hardliner auf beiden Seiten haben das blockiert.
Wir reden heute von einer Zwei-Staaten-Lösung, bei der beide Staaten, Palästina und Israel, nebeneinander leben. Darüber wird seit über 20 Jahren diskutiert, aber die Menschen spüren eigentlich gar nichts davon. Das Problem wird auch in Zukunft sein: Wie können beide Völker friedlich zusammen leben?
Solange das Problem Israel und Palästina nicht gelöst wird, werden auch viele andere Probleme nicht gelöst.

In Deutschland gab es eine große Debatte um die Frage, ob der EKD-Ratsvorsitzende bei seinem Besuch auf dem Tempelberg das Kreuz hätte tragen sollen. Wie sehen Sie das?
Ich ganz persönlich denke, ich würde als palästinensischer Christ mein Kreuz nicht verstecken, auch wenn ich ein islamisches Haus betrete. Umgekehrt verzichten islamische Würdenträger auch dann nicht auf ihre Amtstracht, wenn sie bei uns eine christliche Kirche betreten. Das gehört dazu, und die Muslime akzeptieren uns, genauso wie wir die Muslime mit ihrer Tradition akzeptieren.