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Hunger bedroht Leben

Um den Welthunger zu bekämpfen, ­fordert „Brot für die Welt“ eine Agrarwende

828 Millionen Menschen hungern weltweit. Am Horn von Afrika befürchten die Vereinten Nationen bis Ende des Jahres einen Anstieg der Anzahl der Hungernden von 14 auf 20 Millionen. Um den Hunger zu bekämpfen, ­forderte das evangelische Hilfswerk „Brot für die Welt“ bei seiner Jahrespressekonferenz am 27. Juli in Berlin die Nothilfe sofort deutlich zu erhöhen und die globale Landwirtschaft umzustellen

Von Dagmar Pruin

Wir erleben gerade eine weltweite Hungerkrise. Sie droht nicht nur, wie einige Politikerinnen und Politiker sagen. Sie ist traurige Realität. Bis zu 828 Millionen Menschen weltweit hungerten schon 2021, das waren 150 Millionen mehr als vor Ausbruch der Corona-Pandemie. Jeder zehnte Mensch geht abends hungrig zu Bett. 200 Millionen Menschen davon waren 2021 in einer akuten Notlage. Laut aktueller Schätzungen sind es mittlerweile schon 345 Millionen. Diese Menschen wissen – um im Bild zu bleiben – morgens nicht, wie sie sich und ihre Familien über den Tag ernähren sollen. 

Die Gründe sind vielfältig und überlagern sich gegenseitig: Inflation. Die Preise für Lebensmittel, Dünger, Diesel und Strom sind überall auf der Welt explodiert. Die Preise sind schon im vergangenen Jahr ­gestiegen, der russische Krieg gegen die Ukraine hat aufgrund wegfallender Weizen-Exporte und gestiegener Energiepreise das Problem verschärft. Hinzu kommen die Folgen der Corona-Pandemie: Die sind vor allem in Städten zu spüren, wo Millionen ihre Arbeit verloren haben und jetzt ihre Familien nicht mehr ernähren können. Konflikte wiederum führen vielerorts dazu, dass Bauern und Bäuerinnen ihre Felder nicht mehr bestellen können. Und die Klimakrise ruft immer länger ­andauernde Dürren oder schwere Überschwemmungen hervor. Beides hat zur Folge, dass Ernten verloren gehen. Ein wichtiger Schlüssel zur Lösung ist die Agrarpolitik. 

Wir fördern seit vielen Jahren mehr Ernährungssouveränität in den Ländern des globalen Südens und weniger Importabhängigkeit. Etwa in Burkina Faso – einem der ärmsten Länder der Welt: Gemeinsam mit ­unserem Partner unterstützen wir Kleinbauern und -bäuerinnen mit Methoden ökologischer Landwirtschaft. Sie bauen jetzt traditionelle Hirsesorten an. Diese Hirse braucht weniger Wasser und keinen Kunstdünger oder Pestizide. Das ist angewandte Agrarökologie: Klimaresiliente und gesunde Lebensmittel, ohne die Umwelt zu zerstören und ohne Energie zur Herstellung von Dünger aufzuwenden. Nebeneffekt: Die Menschen sind weniger abhängig von steigenden Preisen auf den Märkten oder von Importprodukten. 

Wenn Putin Weizen als Waffe einsetzt, müssen wir diese Waffe entschärfen. Das können wir, indem die Abhängigkeit von Importen verringert wird und wir auch in Deutschland verstärkt Weizen einlagern, um ihn im Notfall an das Welternährungsprogramm der UN oder bedürftige Länder abzugeben. Die Bundesregierung sollte sich daher für eine europäische Agrarwende einsetzen, für eine Landwirtschaft, die nicht auf Massentierhaltung und unfaire Agrarexporte setzt. Dafür müssten wir die Tierhaltung eingrenzen – 60 Prozent des deutschen Weizens wird für Futtermittel verwendet – und die Produktion von Agrotreibstoffen aufgeben. Nur dann landet das Essen nicht in Tank und Trog, sondern auf dem Teller der Menschen. Um jetzt, in der akuten Krise, Millionen ­Menschen vor dem Verhungern zu retten, müssen die reichen Industrieländern sofort mehr Geld für die ­Nothilfe bereitstellen. Die Summe, die beim G7-Gipfel zugesagt wurde, deckt gerade mal 20 Prozent dessen, was das Welternährungsprogramm der UN dringend benötigt.

Um es deutlich zu sagen: Wir ­haben keine Mengenkrise, wir haben eine Preiskrise und eine Verteilungskrise. Diese Probleme sind menschengemacht und auch die Lösung haben wir in der Hand. Als Gesellschaft, die ihre Konsumgewohn­heiten hinterfragt, als Politik, die die richtigen Schlüsse für die Zukunft zieht und auch als Kirche, die ihre Stimme für die Ärmsten der ­Armen erhebt. 

Dagmar Pruin ist Präsidentin von Brot für die Welt.