Donald Trump führt Gäste vor im Weißen Haus – etwa Südafrikas Präsident Ramaphosa. Historische Fakten ignoriert er oder kennt sie gar nicht. Der Wiener Historiker Hannes Leidinger sieht bereits Nachahmungseffekte.
Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa ließ sich nicht provozieren, als sein US-Amtskollege Donald Trump ihn im Weißen Haus mit völlig verdrehten historischen Zusammenhängen konfrontierte. Trump unterstellte Südafrikas Regierung erneut, einen “Völkermord” an der weißen Minderheit im Land zu dulden. Seine Verschwörungserzählung rechter Kreise untermauerte er vermeintlich mit aus dem Zusammenhang gerissenen Bildern und Videos. Warum Trump für eine Zeit steht, in der das Geschichtsbuch ein Auslaufmodell ist, erläutert der Historiker Hannes Leidinger von der Uni Wien der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Er forscht unter anderem zu Kriegsverbrechen und Erinnerungskultur.
Frage: US-Präsident Donald Trump wirft Südafrika “Genozid” an der weißen Minderheit vor – entgegen allen Experteneinschätzungen. Ist das ein klassisches Beispiel von Geschichtsrevisionismus?
Antwort: Was derzeit in Südafrika passiert [massive Drohungen gegen weiße Farmer; d. Red.], weist wohl auch auf Fehlentwicklungen in der langjährigen schwarz dominierten Regierungspartei ANC hin. Aber das hat nichts mit der Tatsache zu tun, dass die weiße Apartheid über viele Jahrzehnte einen Großteil der schwarzen Bevölkerung brutal und systematisch unterdrückt hat. Donald Trumps Welt ist jedoch eine ganz eigene.
Frage: Kann man Trump also Geschichtsvergessenheit vorwerfen?
Antwort: Ja. Und das ist etwas, was ich in jüngster Zeit mit Verärgerung sehe: dass politische Bewegungen teils so gut wie gar nicht mehr darüber nachdenken, welche Vergangenheit, welche Entwicklungen und Begrifflichkeiten problematisch sind.
Frage: Hat Trump die leiseste Ahnung von der Apartheid und den Menschenrechtsverletzungen vor der demokratischen Wende 1994?
Antwort: Ein gewisses Bildungsdefizit muss man bei all seinen Wortmeldungen erkennen.
Frage: Welche Folgen hat es, wenn der mächtigste Mann der Welt versucht, die Geschichte eines anderen Landes umzuschreiben?
Antwort: Nachahmung! Die kann man bereits erkennen. Nicht von ungefähr haben viele Bewegungen in Europa dieselben Pfeile im Köcher: Wissenschaftsfeindlichkeit und die Corona-Debatte spielen bei ihnen eine Rolle; ebenso eine Politik vermeintlicher Stärke, Bewaffnung, nationale Identität – und: etwas wieder groß machen zu wollen.
Frage: Die Legende eines “weißen Genozids” herrscht auch in einigen konservativen Kreisen Südafrikas vor. Wieso rechtsextreme und nationalistische Mythen statt Geschichtsbücher?
Antwort: Geschichtsbücher zu lesen, ist anstrengend. Ich räume ein, dass es ja manchmal gar nicht einfach ist, etwas datenbasiert zu analysieren. Da bilden sich nicht so schnell einfache Antworten… Und um ehrlich zu sein, ist ein verantwortungsbewusst formuliertes Geschichtsbuch auch nicht dazu da, unentwegt zu vereinfachen.
Eine andere Frage ist, wie wir im digitalen Zeitalter kommunizieren. Ganz klar, dass schnelle Botschaften Menschen eher erreichen als lange Texte. Trump ist sicher ein Unikum, wie er die Sache mit Südafrika zuspitzt – aber dabei repräsentiert er Entwicklungen unserer Zeit. Das Geschichtsbuch hat es aber auch schwer, wenn wir Historiker uns in Dokumentationen, Vorträgen an Schulen oder populärwissenschaftlichen Publikationen vereinfachend der Öffentlichkeit stellen.
Frage: Geschichtsvergessenheit scheint auch in Deutschland zu blühen. Was denken Sie, wenn sich ganz junge Menschen Bewegungen wie den “Reichsbürgern” oder “Identitären” anschließen?
Antwort: Gefährlich wird es, wenn diese Szene irgendwo andocken kann. Die Frage ist daher: Sind unsere Parteien gegenüber Links- und Rechtsextremen vorsichtig genug? Daran darf man zweifeln.
Frage: Also teilen Sie die Sorge, dass Parteien wie die AfD in Deutschland oder die FPÖ in Österreich rechtsextremes Gedankengut wieder alltagsfähig machen?
Antwort: Ja, weil sie sich nicht klar genug abgrenzen, wenn es darauf ankommt.
Frage: In Südafrika wie auch im deutschsprachigen Raum gibt es mit Blick auf die Aufarbeitung von Gewalt immer wieder Rufe, einen Schlussstrich zu ziehen.