Vor dem Start des Hamburger Winternotprogramms am Freitag hat der Sozialverband Deutschland (SoVD) mehr „Housing First“-Angebote in der Stadt gefordert. Vor allem junge Menschen bräuchten mehr Hilfe, erklärte der SoVD Hamburg laut Mitteilung von Dienstag. Die Zahl der Übernachtungsplätze für Obdachlose reiche nicht aus. Die Diakonie Hamburg befand in einer am Dienstag veröffentlichten Mitteilung, mit dem Winternotprogramm versuche die Stadt, auf ein Versagen des Wohnungsmarktes zu reagieren.
„Das sozialpolitische Drama ist, dass es in Hamburg überhaupt ein Winternotprogramm in dieser Größenordnung geben muss“, erklärte Diakonie-Sozialexperte Dirk Hauer. „Eigentlich müssten sich alle Bemühungen darauf konzentrieren, Wohnraum zur Verfügung zu stellen.“ Das Diakonische Werk schlug als Sofortmaßnahme vor, das städtische Wohnungsunternehmen Saga stärker in die Pflicht zu nehmen. Zurzeit müsse die Saga knapp 1.100 Wohnungen für Menschen mit Dringlichkeitsbestätigung zur Verfügung stellen. Hauer: „Diese Zahl sollte auf mindestens 2.000 Wohnungen erhöht werden.“ Zudem müsse sichergestellt werden, dass Obdachlose und Menschen aus der öffentlich-rechtlichen Unterbringung Zugang zu den Wohnungen bekommen.
Der Hamburger SoVD-Landeschef Klaus Wicher sagte: „Nachts stehen für Obdachlose etwas mehr als 1.000 Betten zur Verfügung. Kenner der Szene vermuten, dass in Hamburg mindestens 5.000 Menschen auf der Straße leben.“
Obdachlose seien eine sehr heterogene Gruppe mit unterschiedlichsten Problematiken und dementsprechenden Betreuungs- und Beratungsbedarfen, sagte Wicher. „Unterschiedliche Gruppen brauchen aber unterschiedliche Angebote.“ Das Winternotprogramm wende sich bislang „vor allem an Männer, die in den großen Unterkünften gut zurechtkommen“. Für Frauen, psychisch Kranke oder Transsexuelle sei das Angebot an sicheren Übernachtungsmöglichkeiten „immer noch zu klein“. Mehr „Housing First“ könnte mehr Betroffenen Struktur und Perspektive geben.
In Hamburg läuft seit 2022 ein auf zunächst drei Jahre angelegtes „Housing First“-Modellprojekt. Damit sollen gezielt Menschen erreicht werden, die seit langer Zeit ohne Wohnung sind und denen aufgrund ihrer unterschiedlichen Probleme bislang kein Wohnraum vermittelt werden konnte. In ihrer neuen Wohnung sollen sie sich zunächst erholen und dann in die Lage versetzt werden, Unterstützungsleistungen anzunehmen. Begleitende Angebote sollen helfen, dass sie ihren Alltag mittelfristig selbst strukturieren und möglicherweise auch eine Arbeit aufnehmen.
Wicher sorge sich zudem um die obdachlosen EU-Bürger, die keinen Anspruch auf das Winternotprogramm haben. Für sie seien nur die Wärmestuben zugänglich. „Diese Menschen verelenden zusehends auf der Straße. Viele sind gesundheitlich schlecht aufgestellt, müssen aber trotzdem nachts im Freien campieren, obwohl Platz in den Unterkünften wäre“, sagte Wicher. Hamburg sollte sich hier besser aufstellen, forderte er.
Obdachlose können ab 1. November das Hamburger Winternotprogramm nutzen. Zum Schutz vor Kälte stehen laut Sozialbehörde bis einschließlich März 400 Übernachtungsplätze in der Friesenstraße 22 sowie 300 in der Châu-und-Lân-Straße 72 zur Verfügung. Beide Standorte betreibt das städtische Unternehmen „Fördern & Wohnen“ (F&W). Weitere Plätze stünden bei mehreren Kirchengemeinden und Hochschulen für das Winternotprogramm bereit, hieß es.