Berlin/Essen – Der von der Essener Tafel verhängte vorläufige Aufnahmestopp für ausländische Kunden sorgt weiter für Diskussionen. Neben bundesweit geäußerter Kritik von Politik, Kirchen und Verbänden gibt es aber auch Verständnis dafür, dass die Tafeln überfordert sind. So distanzierte sich der Vorsitzende des Bundesverbands der Tafeln, Jochen Brühl, im ARD-Morgenmagazin von dem Schritt der Essener Initiative. Brühl machte aber zugleich deutlich, darin zeige sich die „Überforderung von Tafeln in Deutschland“. Dahinter steckten keine rassistischen Motive.
Der hannoversche Landesbischof Ralf Meister sagte in einem Gastbeitrag für das RedaktionsNetzwerk Deutschland, weder für staatliche Stellen noch für zivilgesellschaftliche Initiativen dürfe die Herkunft der Hilfesuchenden eine Rolle spielen. „Wer bedürftig ist, dem wird geholfen. Von diesem Grundsatz dürfen wir keinen Millimeter abrücken. Sonst bricht die Solidarität – und damit die Nächstenliebe.“ Zugleich kritisierte der Bischof der größten evangelischen Landeskirche in Deutschland die Politik dafür, dass immer mehr Menschen auf Hilfe durch die Tafeln angewiesen seien. Die Tafeln sollten eigentlich ein Zusatzangebot sein, das in sozialen Notlagen ein wenig mehr Lebensqualität ermögliche, sagte Meister. Mittlerweile seien sie jedoch für viele „ein unverzichtbarer Anlaufpunkt, um nicht hungern zu müssen. Das ist der eigentliche Skandal.“
Die Wohlfahrtsverbände warnten vor einer Konkurrenz unter den Empfängern von Spenden. Caritas-Präsident Peter Neher sagte der „Osnabrücker Zeitung“ , die Essener Entscheidung bereite ihm Sorgen. Er warnte vor „einer populistischen Debatte, die hilfebedürftige Menschen verletzt“.
Diakonie-Präsident Ulrich Lilie erklärte, wenn ein Hilfsangebot Menschen anhand ihrer Herkunft ausschließe, „verschärft dies die Spaltung der Gesellschaft“. Solche Fehlentwicklungen zeigten aber auch die Versäumnisse der Politik.Der Chef des evangelischen Wohlfahrtverbandes fordert mehr Anstrengungen im Kampf gegen die Armut in Deutschland.
Der Sozialverband Deutschland (SoVD) sieht hinter dem Aufnahmestopp ein größeres Problem. Die Tafeln seien „Lückenbüßer“ dafür, dass staatliche Leistungen nicht ausreichten.
Der Geschäftsführer des Paritätischen, Ulrich Schneider, forderte die Essener Tafel auf, die Diskriminierung „sofort zu beenden“ und verlangte von der Bundesregierung höhere Sozialhilfeleistungen für Einheimische und Asylbewerber: „Ziel muss es sein, Tafeln überflüssig zu machen“, sagte er.
Bedürftigkeit ist das Maß und nicht der Pass, sagte Sozialministerin Katarina Barley zum Beschluss der Essener Tafel. Zugleich bescheinigte die SPD-Politikerin den Ehrenamtlichen „großen persönlichen Einsatz“. Die Tafeln in Deutschland leisteten einen wertvollen Beitrag bei der Unterstützung der Schwächsten.
Die Vorsitzende des Sozialausschusses im Bundestag, Kerstin Griese (SPD), erklärte, die Essener Entscheidung mache sie „fassungslos“. Auf Geschubse und Gedrängel mit dem Ausschluss nichtdeutscher Hilfesuchender zu reagieren, „ist eine nicht akzeptable Diskriminierung, die an Rassismus grenzt“, sagte sie. Griese, die selbst aus Nordrhein-Westfalen kommt, forderte die Verantwortlichen auf, schnell Konsequenzen zu ziehen.
Kritik kam auch aus der NRW-Landesregierung. „Nächstenliebe und Barmherzigkeit kennen grundsätzlich keine Staatsangehörigkeiten“, sagte Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU). Er habe deswegen „persönlich Zweifel“, ob die Staatsangehörigkeit das richtige Kriterium sei, um die große Nachfrage bei den Tafeln konfliktfreier organisieren zu können.
Die Tafeln würden als Ersatz für staatliche Sozialleistungen benutzt, sagte der Kölner Armutsforscher Christoph Butterwegge. Damit seien sie überfordert. Zu den 1,5 Millionen Bedürftigen zählten zunehmend auch Flüchtlinge. Butterwegge schlug vor, dass die Konflikte vor Ort entschärft werden könnten, wenn es etwa für alte Leute andere Öffnungszeiten gebe als für Ausländer.
Die Essener Tafel begründet ihr Vorgehen damit, dass der Anteil der Migranten unter den 6000 Kunden der Tafel seit 2015 von rund 35 auf 75 Prozent gestiegen sei. Vor allem alte Leute und alleinerziehende deutsche Mütter hätten sich bei der Lebensmittelausgabe nicht mehr wohl und durch Zuwanderer bedrängt gefühlt. Bundesweit gibt es rund 940 Tafeln, die überschüssige Lebensmittel sammeln und damit regelmäßig bis zu 1,5 Millionen Menschen versorgen. epd/KNA/UK
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Helfer unter Überdruck
Debatte um vorläufigen Aufnahmestopp für Ausländer an der Essener Tafel hält an. Diakonie-Präsident Ulrich Lilie fordert mehr Anstrengungen im Kampf gegen Armut in Deutschland

Thomas Berend