In Hamburg hat sich seit 2018 die Zahl der Obdachlosen fast verdoppelt: Laut Wohnungslosenbericht 2024 der Bundesregierung gab es im vergangenen Jahr 3.787 obdachlos lebende Menschen in Hamburg, bei der letzten Zählung 2018 waren es 1.910 Betroffene, wie die Diakonie am Donnerstag mitteilte. Dazu komme eine deutlich höhere Dunkelziffer. Im Bundesvergleich ist das Problem in Hamburg im Verhältnis zur Bevölkerung am größten: Mit knapp 20 Wohnungslosen ohne Unterkunft und 170 untergebrachten Wohnungslosen pro 10.000 Einwohner belegt Hamburg den Spitzenplatz in der Statistik. Bundesweit leben mehr als eine halbe Million Menschen in Deutschland ohne festen Wohnsitz, so der Bericht.
Der „enorme Anstieg“ der Obdachlosenzahlen in Hamburg sei erschreckend und zeige, „wie wichtig es ist, obdachlose Menschen mit Wohnraum zu versorgen, zum Beispiel durch einen bedarfsgerechten Ausbau von Housing-First-Maßnahmen“, erklärte Dirk Hauer, Sozialexperte der Diakonie. Es sei ein „sozialpolitisches Drama“, dass es in Hamburg ein Winternotprogramm geben müsse und „man sich nicht darauf konzentriert, Wohnraum zur Verfügung zu stellen“, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das städtische Wohnungsunternehmen Saga müsse dringend höhere Wohnungskontingente zur Verfügung stellen, damit obdachlose Menschen und Familien versorgt werden könnten.
Gerade im Winter sei das Leben obdachloser Menschen „akut gefährdet“, sagte Hauer. Als Sofortmaßnahme fordert die Diakonie erneut die ganztägige Öffnung des Winternotprogramms. „Schon am Wochenende droht wiederholt Nachtfrost und das Leben der Menschen, die auf der Straße schlafen, ist in Gefahr“, sagte der Sozialexperte. Mit insgesamt rund 1.200 Plätzen in Hamburg gebe es „nicht einmal für jeden dritten Obdachlosen einen Übernachtungsplatz“. Die Stadt könne in der kalten Jahreszeit nicht für alle Menschen den notwendigen Erfrierungsschutz gewährleisten. Zudem müssten Menschen die Unterkünfte des Winternotprogramms tagsüber verlassen, nur in Ausnahmefällen und bei amtlicher Unwetterwarnung dürften sie bleiben.
Dabei setze die derzeitige Kälte den ohnehin geschwächten Menschen zu, eine einfache Virusinfektion könne dann tödliche Folgen haben, hieß es von der Diakonie. „Das Leben auf der Straße, der tägliche Kampf ums Überleben, Drogen- und Alkoholkonsum und unbehandelte chronische Krankheiten führen dazu, dass die Menschen in eine gesundheitliche Abwärtsspirale geraten“, sagte Mediziner Hans-Heiner Stöver, der sich ehrenamtlich im Diakonie-Zentrum für Wohnungslose engagiert. Wenn dann Virusinfektionen hinzukämen, die unter diesen Lebensbedingungen nicht ausheilen könnten, bestehe schnell Lebensgefahr.
„Als Arzt rate ich bei grippalen Infekten normalerweise dazu, sich auszuruhen, warm zu halten, viel zu schlafen und zu trinken“, sagte Stöver. Nur so würden sich gefährliche Komplikationen wie Lungen- oder Herzmuskelentzündungen und im schlimmsten Fall ein plötzliches Herzversagen vermeiden lassen. Das sei für Obdachlose unter den derzeitigen Bedingungen nicht möglich. „Niemand sollte den ganzen Tag draußen verbringen oder auf der Straße schlafen müssen, schon gar nicht im Herbst und Winter“, erklärte Stöver.
Um obdachlosen Menschen zu helfen, ist der Mitternachtsbus der Diakonie in 365 Nächten im Jahr auf der Straße unterwegs. Pro Tour kämen durchschnittlich 125 obdachlose Menschen, etwa neun Kisten Backwaren würden jede Nacht verteilt. „Für die kalten Nächte haben wir dicke Socken, warme Schuhe und andere Winterbekleidung an Bord, damit sich die Leute nachts warmhalten können“, sagte Sonja Norgall, Leiterin des spendenfinanzierten Hilfsprojekts.
Allein im vergangenen Jahr hätten Ehrenamtliche des Mitternachtsbusses in rund 44.000 Pappbechern etwa 8.800 Liter Kaffee, Tee, Kakao und Brühe ausgeschenkt. Norgall bittet Hamburgerinnen und Hamburger, die einen obdachlosen Menschen auf der Straße sehen, gerade bei kalten Tagen genau hinzuschauen: „Fragen Sie, ob Hilfe benötigt wird.“ Norgall: „Ein heißes Getränk kann manchmal sehr hilfreich sein.“ Und wer das Gefühl habe, dass etwas nicht stimmt, sollte einen Rettungswagen rufen.