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Halbnackt am Kreuz!

Wie weit darf Werbung gehen? Viel Kritik, aber wenige Beschwerdefälle im Jahr 2017

ddp images/Twitter

Ein halbnacktes Model am Kreuz und ein Dutzend barbusige Frauen am Tisch mit Jesus beim letzten Abendmahl – wie weit darf Werbung gehen? Immer wieder kommt es zu Grenzüberschreitungen. Dann greift der Werberat wegen Verletzung religiöser Gefühle ein. Im vergangenen Jahr kam es zu fünf Beschwerdefällen in dem Bereich.
Ein Fall, der für besonders große Aufregung sorgte, war eine Anzeige, die das deutsche Model Sophia Thomalla (28) leichtbekleidet bei der österlichen Kreuzigungsszene zeigte. Ein Lotterie-Anbieter warb dazu mit dem Slogan „Weihnachten wird jetzt noch schöner“ für die spanische Weihnachtslotterie. „Das ist nicht einmal Kunst. Nur geschmacklos und dumm“, kritisierte der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Thomas Sternberg, darauf in der „Bild“-Zeitung.
Auch der Werberat intervenierte und kontaktierte das Unternehmen. Jedoch bestand für die deutschen Werbehüter dann doch kein Handlungsbedarf. „Die Reklame sollte nur im Ausland Verwendung finden“, erklärte Werberat-Geschäftsführerin Julia Busse der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Hierzulande sei das Motiv lediglich in der medialen Berichterstattung über die Anzeige veröffentlicht worden. So wie dieser wurden auch weitere neun ähnlich gelagerte Fälle in den Jahren 2016 und 2017 vom Werberat nicht beanstandet. „Wir versuchen die Beschwerden immer zunächst im Dialog mit den Unternehmen zu klären“, so Busse.
Anders verhielt es sich im Jahr 1994. Nach zahlreichen Beschwerden rügte der Werberat eine Jeans-Reklame der Kaiserslauterer Firma Otto Kern. In einer Nachstellung des Abendmahl-Gemäldes von Leonardo da Vinci zeigte das Werbemotiv einen Jesus, der von zwölf jeweils nur mit einer Jeans bekleideten Frauen umringt war.
Kirche und Werbung ist ein sensibles Thema. Dennoch gebe es „in Deutschland gewiss eine höhere Toleranz bei der Verletzung religiöser Empfindungen als in anderen Ländern“, schreibt der Generalsekretär der Internationalen Handelskammer (ICC) in Deutschland, Oliver Wieck, im Werberat-Jahrbuch 2018.
Werbung bediene sich immer aktueller Themen oder versuche, Bekanntes zu variieren und in einen neuen Zusammenhang zu stellen, erklärt Ingo Markgraf (49) von der Medienhochschule Macromedia in Köln. „Dabei spielen Provokation, Angst, aber auch Humor eine wesentliche Rolle. Mit religiösen Aspekten lassen sich sehr einfach Emotionen erzeugen.“
Ein Beispiel lieferte die Satirepartei „Die Partei“ mit einem Plakat für die Bundestagswahl 2017: „Mach keinen Scheiß mit deinem Kreuz“, heißt es neben einem Daumen-hoch-zeigenden, grinsenden Jesus mit Dornenkrone. Weniger provokant und zu einem ganz unverfänglichen Klassiker gehören seit Jahrzehnten die Werbespots von Klosterfrau Melissengeist.
Ein anderer Schwerpunkt der Marketingstrategien liegt laut Markgraf in der Erhöhung des Produkts durch Bezug zum Göttlichen: Ein betender junger Mann blickt mit weit geöffneten Augen gen Himmel. Der Gegenstand seiner Sehnsucht thront über ihm – ein neues Auto der Marke Honda. „Du sollst keinen anderen neben mir haben“, ist zu lesen. Christliche Symbolik habe immer noch ihren Platz im Leben vieler Menschen, erläutert der Fachmann. „Religiöse Regeln und Bilder haben wir schon von frühester Kindheit aufgenommen.“
So sollten junge Castingshow-Fans mit einem Videospot kurz vor dem Jahreswechsel auf eine neue Staffel von „The Voice Kids“ bei dem Privatsender Sat.1 aufmerksam gemacht werden. Drei Sternsinger sangen darin ihr Lied durchweg schief. Das Fazit im Clip lautete: „Die schönsten Kinderstimmen… gibt's leider erst im Februar“ – dem Start der Staffel. Kritiker liefen daraufhin Sturm: Das Sternsinger-Brauchtum rund um den Dreikönigstag werde damit verunglimpft. Der Sender stoppte die Werbung.
Im Gegensatz zu dieser Werbung sorgte unlängst ein anderer Fall für Aufregung, weil der christliche Bezug eigens beseitigt wurde. Auf der Verpackung griechischer Produkte eines deutschen Discounters wurden die Kreuze orthodoxer Kirchen wegretuschiert. Kardinal-Kritik und bischöflicher Boykott folgten – aber auch die Ankündigung des Unternehmens, schnellstmöglich das Design wieder zu ändern.