Viele Menschen haben sich vor der Assyrischen Kirche in Borken-Burlo versammelt. Achour Givargis begrüßt als Vorsteher der Gemeinde die Gäste. Er freut sich sichtlich, dass sie endlich ihren Gemeindesaal im Beisein von Bischof Mar Odisho, der eigens aus Schweden angereist ist, einweihen können. Drei Flaggen wehen vor dem neuen Gemeindehaus und erinnern an die Geschichte dieser Gemeinde: die Deutschlandflagge, die der Assyrischen Kirche und die Flagge Assyriens, wo die die Anfänge der Assyrischen Kirche liegen.
Seit dem 20. Jahrhundert haben die Assyrischen Christen wie viele andere Kirchen im Nahen und Mittleren Osten Vertreibung und Verfolgung erleiden müssen. Während des Ersten Weltkrieges verlor die Assyrische Kirche infolge von Massakern und Flucht ungefähr die Hälfte ihrer Gläubigen. Damit begann die Zeit der Diaspora in vielen Ländern dieser Welt. Einige assyrische Familien zogen in den Nordosten Syriens und siedelten sich in Dörfern entlang des Flusses Khabur an.
Aus dieser Region stammen die meisten Familien der Assyrischen Gemeinde in Burlo. Im Zuge des verheerenden syrischen Bürgerkrieges mussten sie ihre Dörfer verlassen. Am schlimmsten war die Situation 2013, als der „Islamische Staat“ (IS) ihre Kirchen zerstörte, Familienangehörige entführte oder ermordete. Manche der Familien waren schon um 2010 nach Deutschland gekommen; einige von ihnen auch nach Borken in Westfalen.
„Wir sind der deutschen Regierung und Bevölkerung dankbar, dass wir aufgenommen wurden. Wir sind geflüchtet und nicht als Touristen gekommen “, betont Bischof Mar Odisho.
Wie in ihrer syrischen Heimat, wollten sie auch in Borken ihre Gottesdienste feiern. Dafür brauchten sie einen Kirchenraum.
Es war bestimmt kein Zufall, dass in dieser Zeit die evangelische Markuskirche in Borken-Burlo aufgegeben werden musste. Statt Abriss der Kirche fand sich die Lösung, dass die assyrischen Christen sie im Jahr 2013 übernahmen. So entstand hier in der Nähe zur niederländischen Grenze die erste Gemeinde der Assyrischen Kirche des Ostens im Bereich der westfälischen Kirche.
Die meisten der heutigen Gemeindeglieder leben in Borken und Umgebung; einzelne Familien haben auch an anderen Orten Nordrhein-Westfalens ein neues Zuhause gefunden. Eine größere Gruppe assyrischer Christen lebt im Raum Frankfurt am Main, wo sie in der Nähe von Wiesbaden ihre erste Gemeinde in Deutschland gegründet haben.
Von Anfang an suchten die assyrischen Christen in Burlo den Kontakt zu ihren Nachbarn. „Wir wollten kein Ghetto bilden, sondern uns öffnen für die Nachbarn und Schwesterkirchen“, so der assyrische Bischof. So hat sich seit Jahren ein lebendiges ökumenisches Miteinander mit der evangelischen Kirchengemeinde Oeding-Stadtlohn-Vreden entwickelt. Dazu gehört auch, dass die evangelische Gemeinde weiterhin einen Kirchenschlüssel behalten durfte, um einmal im Monat ihren eigenen Gottesdienst in der Assyrischen Kirche zu feiern.
Ebenso sind die evangelischen Christen zum Gottesdienst der Assyrischen Gemeinde eingeladen, der von Pfarrer Andreas Odisho, den Diakonen und dem Frauenchor in Aramäisch, der Sprache Jesu, gefeiert wird – auch zur Teilnahme am Abendmahl, denn für die Assyrische Kirche ist die entscheidende Voraussetzung dafür die Taufe und die gemeinsame Beichtfeier, die Teil der sonntäglichen Liturgie ist.
Auch der neue Gemeindesaal dient der ökumenischen Begegnung und wird bereits von evangelischen und katholischen Christen genutzt. Notwendig wurde dieser Anbau, damit die 160 assyrischen Familien neben der Kirche ein Zentrum haben, wo sie sich als Gemeinde treffen. Hier finden künftig Sprachkurse und gemeinsame Kochkurse für evangelische, katholische und assyrische Frauen statt, wie Shlemon Yonan betont, der diese Programme begleiten wird.
Viele jüngere Gemeindeglieder sprechen bereits fließend Deutsch. Sie haben inzwischen ihre Ausbildung gemacht, geheiratet und Arbeit gefunden, ergänzt Juliet Icho. Die junge Frau singt im Chor mit.
Angesichts der schlimmen Erfahrungen und des Krieges in ihrer syrischen Heimat steht für die assyrischen Christen in Burlo fest, dass es kein Zurück mehr gibt, sondern Deutschland ihre neue Heimat ist. Bischof Mar Odisho legt deshalb Wert auf eine gute Integration in Deutschland: „Unser Ziel ist, dass unsere Kinder und Jugendlichen nicht nur christlich denken, sondern auch an das Land glauben, in dem sie jetzt leben.“
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Gottesdienst in der Sprache Jesu
Die erste Gemeinde der Assyrischen Kirche in Westfalen konnte jetzt einen eigenen Kirchraum einweihen. Für die geflüchteten Christen aus Syrien ist klar: Deutschland ist ihre neue Heimat – denn ein Zurück in das Syrien Assads gibt es für sie nicht
