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Gericht: Kein Anspruch auf Selbsttötungsmittel für Suizidwillige

Es war eine lange Odyssee durch deutsche Gerichtssäle. Jetzt sind zwei schwerkranke Männer wohl endgültig mit ihrem Wunsch gescheitert, ein tödlich wirkendes Medikament vom Staat einzufordern.

“Das ist kein Leben mehr. Ich brauche rund um die Uhr Hilfe, selbst wenn mich was am Kopf juckt.” Harald Mayer aus Rheinland-Pfalz ist an den Rollstuhl gefesselt, kann sich kaum noch bewegen. Er hat Multiple Sklerose mit schwerem Verlauf. Und er hat große Angst vor dem nächsten Krankheitsschub – dass er dann nicht mal mehr selbstständig schlucken kann. “Ich brauche einen Notausgang”, sagte er bereits 2019 im ARD-Film “Streitfall Sterbehilfe – Wer bestimmt über mein Ende?”.

Mayer hat bereits 2017 beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn das Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital beantragt, wie mehr als 240 weitere Schwerstkranke. Damit will er sich zu Hause im Kreise seiner Familie selbst töten können, wenn sich sein Zustand dramatisch verschlechtert.

Doch dieser “Notausgang” wurde ihm verwehrt. Das BfArM entschied in seinem wie in bisher allen anderen Fällen, dass das Betäubungsmittelgesetz eine Herausgabe nicht erlaube. Dann verhinderte auch das Bundesgesundheitsministerium die Herausgabe des Mittels. Es könne “nicht Aufgabe des Staates sein, “Selbsttötungshandlungen … aktiv zu unterstützen”, betonte der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU).

Der Streit ging durch die juristischen Instanzen: Verwaltungsgericht Köln und Oberverwaltungsgericht Münster bestätigten das Nein zur Herausgabe. Hoffnung weckte bei Mayer und seinem Mitstreiter aus Niedersachsen das ausgesprochen liberale Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2020: Es gebe ein Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben, betonten die Karlsruher Richter. Und auch ein Recht auf die Hilfe Dritter bei der Selbsttötung.

Doch am Dienstag hat das Bundesverwaltungsgericht wohl ein abschließendes Urteil gesprochen: Auch die Leipziger Richter stützen das Verbot. Nicht aus grundsätzlichen Erwägungen zum Suizid. Das Problem ist vielmehr das von Mayer gewünschte Natrium-Pentobarbital: Denn es ist als Betäubungsmittel gelistet und unterliegt damit den Beschränkungen des Betäubungsmittelrechts. Die Richter verwiesen darauf, dass dieses Gesetz eine Ausgabe von Medikamenten nur zur Heilung oder Linderung von Krankheiten oder krankhaften Beschwerden erlaube. “Eine solche therapeutische Zielrichtung hat die Beendigung des eigenen Lebens grundsätzlich nicht.”

Das Bundesverwaltungsgericht nahm eine weitere Abwägung vor: Dem Recht des Einzelnen auf selbstbestimmten Tod stünden wichtige Gemeinwohlbelange wie der Schutz vor Miss- oder Fehlgebrauch des tödlichen Medikaments gegenüber, heißt es in der Entscheidung. In der mündlichen Verhandlungen war es zuvor auch darum gegangen, wie das Tötungsmittel, das der Kläger ja zunächst nur vorbeugend erwerben will, sicher aufbewahrt werden kann.

Wie die Vorinstanzen betonen auch die Leipziger Richter, dass es für Menschen, die ihr Leben beenden wollen, andere zumutbare Möglichkeiten zur Verwirklichung ihres Wunsches gebe. So könnten Sterbewillige über eine Ärztin oder einen Arzt Zugang zu (verschreibungspflichtigen) Arzneimitteln erhalten, mit denen eine Selbsttötung durchgeführt werden kann. Auch hätten nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2020 zur Suizidbeihilfe mehrere Sterbehilfeorganisationen ihre Arbeit wieder aufgenommen.

Das Urteil aus Leipzig kommt für manche Beobachter überraschend: Denn 2017 hatte dasselbe Gericht das Recht von schwerstkranken Patienten auf einen selbstbestimmten Tod gestärkt und entschieden, der Staat dürfe in “extremen Ausnahmefällen” den Zugang zu einem solchen Betäubungsmittel nicht verwehren. Das Gericht betonte jetzt, dass eine solche schwere Notlage nicht vorliege, weil eine zumutbare Alternative zu Natrium-Pentobarbital bestehe.

Hier wurde das Gericht sehr konkret: “Sollte für einen der Kläger aufgrund seiner krankheitsbedingten Schluckbeschwerden nur ein intravenös anwendbares Arzneimittel in Betracht kommen, ergibt sich nichts Anderes”, heißt es in der Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts. “Das Oberverwaltungsgericht hat dargelegt, dass dieser vom Schultergürtel abwärts gelähmte Kläger das Mittel mithilfe eines Infusionsautomaten anwenden könnte, den er selbst steuert.”