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Gerhard Braune

… Die neu entstandene Erinnerungsstätte umfasst eine transparente blaue 24 Meter lange Glaswand. Sie steht für die Trennung, die die Nationalsozialisten zwischen ihrer Meinung nach wertem und unwertem Leben machten. Der Ort ist keineswegs willkürlich gewählt. Exakt an dieser Stelle befand sich die “Zentraldienststelle T 4”. Das Kürzel steht für die Postadresse: Tiergartenstraße 4. Hier organisierten und koordinierten mehr als 60 Schreibtischtäter das von 1940 bis Kriegsende umgesetzte “Euthanasie”-Programm, an dem sich auch zahlreiche Wissenschaftler und Ärzte beteiligten. Für mich ist die Eröffnung der Gedenkstätte an der Philharmonie Anlass an Pastor Paul Gerhard Braune zu erinnern, den langjährigen Leiter der Hoffnungstaler Anstalten und zugleich Bürgermeister von Lobetal bei Berlin… Von Veit Hoffmann

Von Veit Hoffmann

Kulturstaatsministerin Monika Grütters und der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, haben am Dienstag in Berlin Tiergarten eine Gedenkstätte für die Opfer der nationalsozialistischen “Euthanasie”-Morde eröffnet. Rund 300.000 kranke und behinderte Menschen sind in der NS-Zeit ermordet worden. Die neu entstandene Erinnerungsstätte umfasst eine transparente blaue 24 Meter lange Glaswand. Sie steht für die Trennung, die die Nationalsozialisten zwischen ihrer Meinung nach wertem und unwertem Leben machten. Der Ort ist keineswegs willkürlich gewählt. Exakt an dieser Stelle befand sich die “Zentraldienststelle T 4”. Das Kürzel steht für die Postadresse: Tiergartenstraße 4. Hier organisierten und koordinierten mehr als 60 Schreibtischtäter das von 1940 bis Kriegsende umgesetzte “Euthanasie”-Programm, an dem sich auch zahlreiche Wissenschaftler und Ärzte beteiligten. Für mich ist die Eröffnung der Gedenkstätte an der Philharmonie Anlass an Pastor Paul Gerhard Braune zu erinnern, den langjährigen Leiter der Hoffnungstaler Anstalten und zugleich Bürgermeister von Lobetal bei Berlin. Die Hoffnungstaler Anstalten sind zu einem Begriff geworden für gelebte Diakonie. „Suchet das Recht des Schwachen!“ Auch einem hilflos gewordenen obersten Genossen, den keiner mehr haben wollte, und den selbst die treuesten Mitkämpfer auf der Strasse stehen ließen, stand nach dieser Devise die Tür offen. Das wohnungslos gewordene Ehepaar Honecker hatte sich hilfesuchend an die evangelische Kirche gewandt. Ohne moralische Wertung wurde ihnen Schutz gewährt. Denn das Recht des Schwachen ist Bett, Brot und Schutz. Für die Betroffenen war das viel. Als Pastor Paul Gerhard Braune 1922 die Anstalten übernahm, waren sie eine Kolonie für obdachlose und arbeitslose Menschen. Friedrich Bodelschwingh hatte sie 1905 gegründet. Arbeit statt Almosen sollten die Armen hier finden. In den folgenden Jahren wandelte sich der Charakter der Einrichtung. Hoffnungstal wurde zu einem Ort für geistig Behinderte und Anfallkranke. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 drohte eine Verstaatlichung aller kirchlichen Heime. Sie sollten der Volkswohlfahrt unterstellt werden. Pastor Braune, inzwischen Vizepräsident des Zentralausschusses für Innere Mission, konnte dieses Vorhaben verhindern und wurde deshalb von der Gestapo bespitzelt, was ihn jedoch nicht hinderte entschieden gegen staatliche Mordunternehmungen vorzugehen, die gegen das sogenannte unwerte Leben eingeleitet wurden. Das geheim gehaltene Morden, über das allerdings in weiten Bevölkerungskreisen offen geredet wurde, geschah auf Befehl des Führers. Die staatliche Ideologie sah in den geistig behinderten Menschen und unheilbar Kranken einen Ballast, der in schicksalhafter Stunde dem deutschen Volk von den Schultern genommen werden sollte. Hitlers Anweisungen fanden willige Helfer unter Ärzten, medizinischem Personal und bei Heimleitungen. Eines Tages stand der graue Bus auch vor einem Haus der Hoffnungstaler Anstalten um fünfundzwanzig „schwachsinnige“ Kinder und „anfallkranke“ Frauen abzuholen. Verlegung nannte man den Abtransport in den Tod. Pastor Braune und die Heimleitung wehrten sich. Sie gaben die Menschen nicht heraus. So fuhr der graue Bus unverrichteter Dinge wieder ab. Nicht nur das: Pastor Braune schickte Hitler zwei selbst verfasste Denkschrift hinterher, in der er das von der Regierung legitimierte Verbrechen aufzeigte. Aus seiner Feder stammen die „Denkschrift gegen die Krankenmorde“ und die „Denkschrift für die nicht arischen Christen“. Braune wurde von der Gestapo abgeholt und in die berüchtigte Haftanstalt in der Prinz-Albrecht-Strasse gebracht. Nach dreimonatiger Haft wurde er entlassen und kehrte am 31. Oktober, am Reformationstag, an den Ort seines Wirkens zurück. Gebunden und gehalten von dem Wort des Herrn setzte er seine Arbeit fort. Er starb im Alter von 66 Jahren, am 19. September 1954 in Bethel. Mich fasziniert seine Konsequenz, keinen Schritt von dem abzuweichen, was er für richtig hielt. Wir hingegen versuchen viel zu oft Kompromisse einzugehen und uns mit den Umständen zu arrangieren. Was Braune damals in schwerer Zeit gelang sollte uns heute eigentlich um vieles leichter fallen.