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TV-Doku: Geflüchtete sprechen mit Angela Merkel über Integration

Bei “WDR for you” spricht Angela Merkel mit Geflüchteten über “Wir schaffen das”. Politik, Medien und Merkel wird der Spiegel vorgehalten.

Ex-Kanzlerin Angela Merkel spricht im WDR-Nischen-Format zu 10 Jahre "Wir schaffen das"
Ex-Kanzlerin Angela Merkel spricht im WDR-Nischen-Format zu 10 Jahre "Wir schaffen das"Imago / Future Image

“WDR for you” sortiert seit 2016 die Welt auf deutsch, persisch und arabisch. Hauptzielgruppe des in den Sozialen Medien und der ARD-Mediathek laufenden Formats sind dabei natürlich Menschen aus den arabisch- beziehungsweise persischsprachigen Ländern, Geflüchtete zumeist. Wer sich die deutschen Fassungen der Beiträge, die von Berichten über die Bedeutung von Freiwilligen Feuerwehren oder das Leben in interreligiösen Familien bis zur Zusammenfassung von 2024 erfolgten Gesetzesänderungen reichen, anschaut, lernt aber auch als Einheimischer viel über dieses manchmal seltsame Deutschland.

Jetzt mischt sich “WDR for you” so subtil wie gekonnt direkt in die Migrationsdebatte ein. Zehn Jahre nach ihrer Ansage “Wir schaffen das. Denn Deutschland ist ein starkes Land!” hat “WDR for you” Angela Merkel (CDU) zu Tisch gebeten. Jetzt traf sie in einem syrischen Restaurant in Berlin fünf Menschen, die vor zehn Jahren aus dem Iran und Syrien nach Deutschland kamen. Moderiert wird die Runde von Borhan Akid, der ebenfalls 2015 aus Syrien nach Deutschland flüchtete, und Bamdad Esmaili, der mit seinen Eltern schon 1986 aus dem Iran kam.

Berühmter Satz von Merkel: “Wir schaffen das!”

Da haben sich so ziemlich alle Redaktionen um ein Gespräch mit der Ex-Kanzlerin zum Geburtstag ihres wohl berühmtesten Satzes ihrer vielen Amtszeiten gebalgt. Und Merkel bleibt Merkel und geht in ein kleines, selbst den meisten Nachrichtenjunkies vermutlich eher unbekanntes Format. “Die Anfrage fand ich sehr interessant. Wir sprechen ja sehr oft über Menschen, die zu uns kamen, aber vielleicht nicht oft genug mit Menschen, die zu uns kamen”, sagt sie trocken zur Begründung – und stellt damit den Medien ein so berechtigtes wie kritisches Zeugnis aus.

Denn auch wenn da durchweg Menschen sitzen, die es geschafft haben, fehlt es im üblichen TV-Talk an solchen Stimmen. Alle damals noch Jugendliche standen am Anfang vor dem Nichts, waren traumatisiert, teilweise länger von anderen Familienmitgliedern getrennt. Der heutigen Medieninformatik-Studentin Narges Tavakkoli und ihrer Familie gelang das Asylverfahren erst im zweiten Anlauf nach erfolgreichem Kirchenasyl. Auch andere kamen über die “Balkanroute”, also nach heutigem Grundverständnis illegal, nach Deutschland. Für die Familie von Tavakkoli fand sich erst nach sieben Jahren eine erste eigene Wohnung.

Andere wie der damals 15-jährige Akram Al Homsy, kamen aus einem libanesischen Flüchtlingslager über ein UN-Kontigent und hatten schneller eine ordentliche Behausung. Doch die Diagnose seines Traumas und die Behandlung “kam, aber zu spät”, berichtet Al Homsy: “Ich habe immer noch Angst, wenn ich ein Flugzeug sehe.” Hier auf die besonderen Bedürfnisse von Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten einzugehen, “haben wir bis heute nicht geschafft”, sagt er. “Das glaube ich, das ist bis heute ungünstig”, sagt Merkel.

Merkel musste sich an Recht und Gesetz halten

Die Ex-Kanzlerin muss sich kritischen Fragen stellen, die eher selten von den Moderatoren, sondern vielmehr von den Gästen am Tisch eines syrischen Lokals in Berlin kommen, dessen Inhaberin auch vor zehn Jahren aus Syrien fliehen musste. “Das ist nicht einfach, ich kann ja nicht allen Menschen helfen und muss mich auch an Recht und Gesetz halten”, sagt Merkel dann. Es sei oft nicht leicht gewesen, Bundeskanzlerin zu sei, “wenn man von der menschlichen Komponente schaut, weil man auch oft harte Entscheidungen treffen muss. Aber ich kann als Bundeskanzlerin nicht sagen, wir machen das jetzt anders.”

Trotzdem steht sie zu ihrer Politik: “Die Entscheidung vom 4./5. September 2015 würde ich wieder so treffen: Wir schaffen das, und wenn es Schwierigkeiten gibt, müssen wir die überwinden”, so Merkel: “Wir können doch nicht sagen, jetzt ist die Welt über uns hereingebrochen, jetzt werden wir alle fatalistisch.” Versäumnisse sieht sie vor allem in der Zeit davor. “Wir haben lange nicht genug hingeschaut: Wie sieht es in den Flüchtlingslagern im Libanon aus, bei den Binnenflüchtlingen, wir haben dem Welternährungsprogramm der UNO nicht genug Geld gegeben”, so Merkel. Das habe die Hoffnungslosigkeit bei vielen in den Erstaufnahmeländern gesteigert – “worauf viele gekommen sind – und darauf waren wir natürlich auch nicht vorbereitet”.

Illegale Migration müsse eingedämmt werden

Merkel fragt sichtlich interessiert nach, freut sich, wenn die Tochter erzählt, ihre Mutter habe erfolgreich auf Mechatronikerin umgeschult. Und dann tanzt sie einen kleinen Drahtseilakt mit Blick auf die aktuelle Migrationspolitik der Bundesregierung. Dass die illegale Migration eingedämmt werden muss, sei klar, sagt Merkel. Und dass schlimme Erfahrungen keine Rechtfertigung sein könnten, Straftaten zu begehen: “Da müssen wir streng sein. Und ich würde mich freuen, wenn auch die Menschen, die hier ankommen, mit ihren Landsleuten streng sind”, sagt Merkel.

Europäische Lösungen sind gefragt

Aber sie pocht auf europäische Lösungen und sagt auch: “Wenn jemand an der deutschen Grenze Asyl beantragt, muss er erstmal ein Verfahren bekommen; meinetwegen direkt an der Grenze.” Damit steht sie im Gegensatz zur aktuellen Auffassung von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU), der direkte Zurückweisungen durchsetzen will. “Insgesamt müssen wir dafür sorgen, dass nicht die Schlepper und Schleuser bestimmen, wer zu uns kommt, sondern unsere gemeinsamen Überzeugungen”, sagt Merkel: “Aber wir müssen auch weiter unsere Werte vertreten.”

Mit dem in der Mediathek recht offensiv als “Danke, aber …. 10 Jahre nach Merkels Versprechen” betitelten Stück ist “WDR for you”, aber auch dem WDR insgesamt ein televisionärer Coup gelungen, obwohl er gar nicht fürs Fernsehen vorgesehen war. Denn es hält Merkel wie den Medien, aber auch der aktuellen Bundesregierung und uns allen den Spiegel vor. Schade nur, dass das sich während des Gesprächs niemand an das sehr lecker aussehende Essen traute, weil Merkel zwischendurch ihre Mutter zitiert hatte: “Sie hat immer gesagt, man spricht nicht mit vollemd.”

Die Doku “Danke, aber …. 10 Jahre nach Merkels Versprechen” ist in der ARD-Mediathek abrufbar.