von Friederike Lübke
Altona. Der Wendepunkt war der 24. April 2013. Als in Bangladesh das Rana-Plaza-Gebäude einstürzte, wobei mehr als tausend Textilarbeiterinnen getötet und mehr als zweitausend verletzt wurden, gelangte das Thema „fair produzierte Kleidung“ auch in die breite Öffentlichkeit. "Seitdem hat es ein richtiges Erwachen gegeben", sagt Waltraud Waidelich vom Frauenwerk der Nordkirche.
"Man kann etwas bewegen"
Das Frauenwerk der Nordkirche ist eine von mehr als zwanzig Trägerorganisationen in Deutschland, die sich dem internationalen Netzwerk "Clean Clothes Campaign" (CCC), zu Deutsch "Kampagne für saubere Kleidung", angeschlossen haben. Waltraud Waidelich leitet die Regionalgruppen in Hamburg und Kiel. "Unsere Hauptanliegen sind die Rechte und die Bezahlung der Arbeiterinnen in der Textilindustrie in den verschiedenen Ländern", sagt sie. Die Regionalgruppen treffen sich etwa einmal im Monat, manchmal auch öfter. Gerade etwa bereiten sie Workshops vor, die rund um den G20-Gipfel in Hamburg stattfinden sollen. Inzwischen engagieren sich auch immer mehr jüngere Frauen für das Thema – und solche, die keine kirchliche Bindung haben. "Man kann etwas bewegen", ist Waltraud Waidelich überzeugt.
Wer fair kauft, muss nicht mehr ausgeben
Waltraud Waidelich lernte bereits in den 80er-Jahren während ihres Studiums, dass Textilunternehmen bewusst motiviert werden, Teile ihrer Produktion ins Ausland zu verlagern. Diesen Ländern sollte durch ihre niedrigen Lohnkosten ein Wettbewerbsvorteil entstehen und so auch ein Gewinn – doch der blieb aus, die Arbeiterinnen in der Textilindustrie sind weiterhin arm. Für Käufer ist es bis heute schwierig zu durchschauen, welche Kleidung wie produziert wird. Manche Länder etwa sind gar nicht als Billiglohnländer bekannt. Tatsächlich aber ist eine Arbeiterin, die in Malaysia den gesetzlichen Mindestlohn erhält, damit noch besser gestellt als eine Arbeiterin in der Ukraine. Dort nämlich beträgt der Mindestlohn nur 14 Prozent dessen, was man bräuchte, um seine Existenz zu sichern. In Malaysia ist es dagegen mehr als die Hälfte.
Nur 1 Prozent Lohnkosten stecken in einem T-Shirt
"Die faire Kleidung gibt es nicht, aber es gibt verschiedene Labels, an denen man sich orientieren kann", sagt Kerstin Montanus aus der Regionalgruppe Hamburg. Denn am Preis kann man nicht ablesen, unter welchen Umständen ein Kleidungsstück produziert wurde. Das Shirt vom Billigdiscounter kann in derselben Fabrik zusammengenäht worden sein wie ein teures Oberteil. Die Kampagne schätzt, dass nur etwa ein Prozent des Verkaufspreises eines T-Shirts Lohnkosten sind. Ein großer Teil wird für Werbung und Marketing ausgegeben – besonders bei bekannten Marken. Würde man daran sparen, könnten die Arbeiterinnen mehr Lohn bekommen, ohne dass sich der Gesamtpreis erhöht.
Bewusster Einkaufen
"Gerechtigkeit kann man nicht kaufen", sagt Waltraud Waidelich. Wer etwas verändern möchte, kann das auch mit kleinem Budget tun, zum Beispiel, indem er weniger und bewusst kauft, auch in
Second-Hand-Shops geht, besondere Kleidung leiht oder überflüssige Frustkäufe vermeidet. "Ich gebe inzwischen viel weniger Geld für Kleidung aus", sagt Waltraud Waidelich. Jedes Mal, wenn sie an einem Schaufenster vorbeilaufe, würde sie vor sich sehen, wie die Kleidung produziert werde.
Bündnis für nachhaltige Textilien
Nach dem Tod der Menschen im Rana Plaza hat sich das "Bündnis für nachhaltige Textilien" gegründet, in dem deutsche Unternehmen und Organisationen für bessere Bedingungen eintreten wollen. Sicherheits- und Brandschutzbedingungen in Bangladesh wurden bereits verbessert und sind nun auch rechtlich einklagbar. "Das ist ein wichtiger Schritt", sagt Waidelich. Allerdings sei der Weg noch sehr lang. Aber durch ihren Kontakt zu Gewerschafterinnen in anderen Ländern erfährt sie, dass es diesen Frauen wichtig ist, dass sich andere für sie einsetzen – nicht nur als Konsumentinnen bei der Wahl ihrer Kleidung.