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Forscher: USA anfälliger für Desinformationen als Deutschland

In Deutschland wird viel gewählt in diesem Jahr. Da wächst die Sorge, dass durch gefälschte Nachrichten die Demokratie angegriffen werden könnte – wie in den USA geschehen. Forscher weisen aber auf Unterschiede hin.

“Stop the Steal”, also “Stoppt den Diebstahl” – Mit diesem Slogan zogen am 6. Januar 2021 tausende Unterstützer des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump nach Washington. Ihr Ziel: die Vereidigung von Joe Biden als Präsident zu verhindern, der kurz zuvor im November die Wahl gegen Amtsinhaber Trump gewonnen hatte. Dem demokratischen Kandidaten und seiner Partei warfen die Trump-Anhänger – noch befeuert durch Äußerungen ihres Kandidaten – Wahlbetrug vor, eben einen Diebstahl des Präsidentenamtes.

Der darauffolgende Kapitolsturm der Trumpisten beschäftigt Gesellschaft und Justiz in den USA bis heute. Dass es soweit kommen konnte, dass sich eine derartige Wut unter Wählern der Republikaner aufbauen konnte, ist neben dem Unwillen Trumps selbst, seine Niederlage einzugestehen, auch auf eine weitrechende Verbreitung von Desinformation und “Fake News” im Zuge der Wahl zurückzuführen. Gefälschte oder absichtlich irreführend dargestellte Grafiken und Tabellen, die einen Stimmenklau belegen sollten, dominierten am Wahltag in den sozialen Medien.

Nun steht am 5. November wieder die US-Präsidentschaftswahl an, und wieder wird es wohl ein Duell zwischen Biden und Trump. Das erzeugt schon jetzt große Sorge vor erneuten Desinformationsfluten – allerdings nicht nur in den USA. Denn auch in Deutschland steht ein großes Wahljahr an, mit der Europawahl am 9. Juni sowie den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg und Kommunalwahlen. Zahlreich sind deswegen bereits die Warnungen vor gefährlichen “Fake News” und Desinformationen, die das Ergebnis der Wahlen in Zweifel ziehen könnten. So sehen laut einer Bertelsmann-Studie im Februar 81 Prozent der Deutschen die Verbreitung von Desinformation im Internet als erhebliches gesellschaftliches Risiko.

Einige Forscher haben diese Sorgen jedoch nun als größtenteils unbegründet zurückgewiesen. “Das ist kaum gerechtfertigt”, sagt der Kommunikationswissenschaftler Christian Hoffmann am Dienstag dem Wissenschaftsportal “Science Media Center”. Dass diese Sorgen in diesem Maße existierten, führt der Leipziger Forscher auf die große mediale Berichterstattung zurück, in der vor gefälschten Inhalten im Netz gewarnt werde. Doch betreffe das nur eine Minderheit der Nutzer, die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung stütze sich weiterhin auf seriöse Quellen, so Hoffmann.

Zudem sieht er deutliche Unterschiede zwischen Deutschland und den USA. Letztere stellten unter den westlichen Ländern beim Thema Desinformation tatsächlich eine Ausnahme dar. “Das Land ist medial und politisch relativ polarisiert. Das macht es anfälliger für Desinformation”, so der Wissenschaftler. Besonders Repräsentanten etablierter Institutionen, Journalisten und Politiker trügen dort zur Verbreitung von Desinformation bei und gäben ihnen eine hohe Reichweite. In Europa hingegen zeigten Studien eine geringe Verbreitung von Desinformation und kaum oder gar keine nachweisbaren Wirkungen. “Unser mediales und politisches System erweist sich als sehr widerstandsfähig”, betont Hoffmann.

Der Medienwissenschaftler Philipp Müller führt das auch auf das Fehlen eines starken öffentlich-rechtlichen Rundfunks wie in Deutschland zurück. Stattdessen sei der US-Medienmarkt stark privatwirtschaftlich organisiert und laufe damit schneller Gefahr, Partikularinteressen zu bedienen.

Der Mannheimer Forscher weist zudem auf Differenzen im Wahlkampf hin. “Schon seit Jahrzehnten werden US-Wahlkämpfe wesentlich aggressiver und konfrontativer geführt als deutsche Wahlkämpfe.” Dazu gehörten neben persönlichen Attacken auf Gegenkandidaten auch Falschbehauptungen. “Strategische Lügen sind dadurch in den USA salonfähiger als in Deutschland und stoßen auf weniger Widerstand.”

Einig sind sich die Forscher, dass die Auswirkungen von Desinformation in Deutschland oft überzogen dargestellt werden. Dennoch könnten sie gerade an gesellschaftlichen Bruchstellen wie Ungleichheit, Polarisierung und Vertrauensverlust ansetzten, Vorurteile fördern und den demokratischen Meinungsbildungsprozess erschweren, warnt die Medienpsychologin Lena Frischlich. “Man kann sich auch auf jeden Fall klarmachen, dass es wichtig ist, nur zutreffende Inhalte zu teilen und sich die Zeit nehmen, vor Klicks, Likes, und Shares einmal durchzuatmen.”