Die vor 90 Jahren verabschiedete Barmer Theologische Erklärung ist nach den Worten des Kirchenhistorikers Thomas Martin Schneider einer der bekanntesten christlich-kirchlichen Texte des 20. Jahrhunderts mit einer Wirkung weit über die evangelische Kirche und Deutschland hinaus. Das am 31. Mai 1934 in Wuppertal-Barmen verabschiedete Papier sei als Dokument des kirchlichen Widerstandes gegen die NS-Ideologie in die Geschichte eingegangen, sagte der Professor der Universität Koblenz dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es sei aber auch heute von Bedeutung und könne etwa als Warnung davor verstanden werden, sich zu sehr vom Zeitgeist leiten zu lassen.
Der Text der Barmer Erklärung sei „erstmal nur ein Bekenntnis zu evangelischen Grundwahrheiten – allein Christus, allein die Heilige Schrift“, erklärte Schneider. „Aber die Message, die ich damit für die Studierenden verbinde, ist: Seid kritisch gegenüber Zeitgeistströmungen, seid kritisch, euch dem Mainstream anzupassen. Er kann auch dämonisch sein, und das stellt man meist erst später fest.“
„Für uns ist der Nationalsozialismus heute etwas zutiefst Reaktionäres“, sagte der Wissenschaftler. Aus Sicht der Zeitgenossen sei der Nationalsozialismus jedoch eine progressive Bewegung gewesen: „Es waren viele junge Leute, auch Theologiestudierende und Vikare, die zur NSDAP gingen, während die Älteren oft reservierter waren.“ Die subjektive Wahrnehmung der damaligen Zeit unterscheide sich enorm von der historischen Bewertung aus der Rückschau.
Kirchengeschichtlich bedeutsam war nach Angaben Schneiders, dass sich damals Lutheraner, Reformierte und Unierte zu einer Synode trafen und eine gemeinsame theologische Erklärung formulierten – in Wuppertal, das damals eine Hochburg der kirchlichen Opposition gewesen sei. Widerständler im politischen Sinne seien die Delegierten aber nicht gewesen: „Sie waren in aller Regel deutsch-national und eine ganze Reihe war sogar in der NSDAP.“ Den meisten Synodalen sei es nur um die Kirche gegangen.
Eine politische Wirkung hatte die Synode aber dennoch: „Der Staat musste das Treffen als Angriff auf seine totalitäre Ideologie auffassen“, sagte Schneider. Dass in den sechs Thesen der Barmer Erklärung kein Wort zum Antisemitismus steht, erklärt Schneider damit, dass dies „einfach nicht im Horizont der Synodalen war“. Unter den 139 Teilnehmern habe es vermutlich viele gegeben, „die gewisse antijudaistische Vorurteile hatten“, auch wenn sie wohl nicht den „eliminatorischen Antisemitismus der Nazis“ geteilt hätten. „Aber eine siebte These als Abgrenzung vom Judenhass war für die Synodalen nicht dran.“