Stuttgart – Die Kirchenrechtlerin Judith Hahn (Bochum) hält die Zukunft des kirchlichen Arbeitsrechts in Deutschland für offen. Weil das Bundesverfassungsgericht in den vergangenen Jahrzehnten mit seinen Entscheidungen „den Freiraum der Kirchen zu üppig bestückt“ habe, wolle der Europäische Gerichtshof (EuGH) offenbar die „kirchenfreundliche Schlagseite beseitigen“; der EuGH habe sich mit seinen jüngsten Entscheidungen allerdings „in religiöse Debatten begeben, in denen er nichts zu suchen hat“, sagte Hahn in Stuttgart beim Symposium der Forschungsstelle für kirchliches Arbeitsrecht der Universität Tübingen. Das in europäischen Verträgen festgeschriebene Sonderarbeitsrecht für kirchliche Arbeitgeber lege der Luxemburger Gerichtshof „besonders restriktiv aus“.
Im April entschied der EuGH im Fall der konfessionslosen Vera Egenberger, kirchliche Arbeitgeber dürften nicht bei jeder Stelle von Interessenten eine Religionszugehörigkeit verlangen. Dies gelte nur, wenn Kirchenmitgliedschaft „eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation“ darstelle.
Im Fall eines wiederverheirateten Chefarztes urteilten die EU-Richter im September, dass dessen Entlassung diskriminierend sein könne, weil nicht der katholischen Kirche angehörende Mediziner trotz Wiederheirat weiter in dem Krankenhaus arbeiten dürften. Das Bundesverfassungsgericht hatte zuvor 2014 entschieden, welche Verpflichtungen als Gegenstand eines Arbeitsverhältnisses bedeutsam seien, richte sich allein nach den von der jeweiligen Kirche formulierten Maßstäben.
Hahn nannte es unklar, wie der Fall des Chefarztes weiterläuft. In einigen Wochen will das Bundesarbeitsgericht in Erfurt erneut entscheiden. Ob ein erneuter Gang nach Karlsruhe aus kirchlicher Sicht ratsam wäre, bezeichnete Hahn als „kaum absehbar“. Aus ihrer Sicht kann Unruhe dem System „im Ergebnis sogar gut tun“, indem die Kirchen es von sich aus verändern. Nicht gut sei dagegen, wenn Gerichte bestimmten, was kirchlich sei.
Aus Sicht des Chefs der Forschungsstelle, Hermann Reichold, wurden vom EuGH „zwei Grundpfeiler umgestoßen“. Der Jurist geht „von mehr Prozessen aus, die den Kirchen nicht gefallen“ würden. Es bestehe die Gefahr, dass das deutsche Religionsverfassungsrecht als Sonderfall in der EU beim EuGH „unter die Räder kommt“. Möglicherweise könnten Gerichte das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen so auslegen, „dass nichts davon bleibt“. KNA/UK
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