Klimawandel und Kriege statt Ölkrise: 50 Jahre nach den ersten Fahrverboten in Deutschland würde ein Verkehrsexperte diese Maßnahme erneut begrüßen. Doch trotz guter Gründe dafür hält er ein Verbot für unrealistisch.
Die deutschlandweit ersten Fahrverbote gab es vor 50 Jahren: Damals zwang die Ölkrise die Menschen zum Energiesparen. Ein halbes Jahrhundert später hat sich der Klimawandel verschärft. Mit dem Ukraine-Krieg gibt es außerdem völlig neue Problemlagen. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) weist Jens Hilgenberg, Experte für Verkehrspolitik beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), auch auf Parallelen hin.
KNA: Herr Hilgenberg, die ersten Fahrverbote in Deutschland liegen 50 Jahre zurück. Inzwischen ist die Welt eine andere. Oder halten Sie die Situation für vergleichbar?
Jens Hilgenberg: Wir hatten letztes Jahr quasi eine Energiekrise und eine Gasmangellage, wo wir allesamt angehalten wurden, Energie zu sparen. Aber darauf, dass wir vielleicht auch im Verkehr Energie sparen könnten, kam letztes Jahr offensichtlich niemand. Wir haben das vorgeschlagen, aber in der Politik hat man sich gescheut, ein temporäres Tempolimit auf Autobahnen einzuführen und dadurch Energie einzusparen. Oder einen autofreien Sonntag.
Alles, was im Verkehr ansetzt, wird weggeschoben. Da wird gesagt: Das kann man den Menschen nicht zumuten, das wollen wir nicht. Wir haben im Verkehr ja nicht nur keine Energie eingespart, sondern dank des Tankrabatts haben wir letztes Jahr sogar Energie teilweise noch verbilligt. Das ist eine völlig absurde Situation: Wir wissen ganz genau, wir müssen eigentlich Energie einsparen und wir müssen vor allem den CO2-Ausstoß im Verkehr reduzieren. Aber so richtig passiert nichts.
KNA: Das heißt also, grundsätzlich waren die Fahrverbote eine gute Idee?
Hilgenberg: Es gibt Bereiche, da sparen wir ein: Die Leute sollen zu Hause weniger heizen. Die Leute sollen sich lieber eine Jacke anziehen. Aber im Verkehr sparen wir nicht. Man könnte schon an die Menschen appellieren, muss das dann aber auch mit politischen Maßnahmen hinterlegen, so dass weniger gefahren wird. Aber den politischen Willen oder die politische Traute gibt es im Moment offensichtlich nicht.
KNA: Neben Fahrverboten gäbe es auch die Möglichkeit, alternativen Verkehr zu fördern.
Hilgenberg: So ein “Fahrverbot” würde nur Autos und LKW betreffen. Aber natürlich können die Leute weiterhin mobil sein. Fahrräder sind immer eine gute Möglichkeit. Das Elektrofahrrad hat den Radius erweitert und man kann auch im ländlichen Raum sehr gut einen großen Teil der Wege ohne Auto zurücklegen. Aber – so fair muss man sein – der ÖPNV ist im weiten Teil des ländlichen Raums nicht das Angebot, das so gut ausgebaut ist, dass die Leute ihre Autos stehen lassen. Da gibt es aktuell zu oft keine Alternative zum eigenen Auto.
KNA: Lastenfahrräder sind wegen der langen Strecken auf dem Land keine Alternative?
Hilgenberg: Eine Problem für die Nutzung gerade von Lastenrädern auf dem Land ist die fehlende Radwegeinfrastruktur. Da sind so viele Autos, die fahren so schnell, dass das einen gewissen Mut erfordert, mit dem Rad und insbesondere mit dem Lastenrad auf der Landstraße zu fahren. Wenn die Fahrzeuge mit 100 auf der Land- oder Bundesstraße unterwegs sind und so einen Fahrradfahrer mit einem Meter Abstand überholen – das ist wirklich gefährlich und ich kann die Menschen verstehen, die das Fahrrad stehen lassen, wenn keine vernünftige Rad-Infrastruktur vorhanden ist.
KNA: Der BUND berät Städte, wie sie sich klimafreundlicher aufstellen können. Wieviel Freiheit haben diese dabei?
Hilgenberg: Man hat als Stadt die Möglichkeit, Einiges zu tun. Es können Busspuren und Fahrradwege eingerichtet werden, Fahrradstraßen ausgewiesen werden, es können Flächen, die aktuell noch von parkenden Fahrzeugen belegt werden, umgewidmet werden. Das ist alles möglich. Aber es gibt auch dringenden Veränderungsbedarf. Aktuell wird auf verschiedenen Ebenen über die Änderung des Straßenverkehrsgesetzes verhandelt. Da hätte man die Möglichkeit gehabt, den Kommunen noch mehr Spielraum und mehr Entscheidungsfreiheit zu geben.
KNA: Inwiefern?
Hilgenberg: Zum Beispiel bei der Entscheidung, wo Radwege oder Tempo 30 angeordnet werden können. Es gibt derzeit die Möglichkeit, auch auf Vorrangstraßen (also auf Bundes- und Landstraßen) Tempo 30 anzuordnen. Dafür braucht es aber ein Grund: Da muss entweder eine Schule oder ein Kindergarten sein oder es müssen viele Unfälle passiert sein. Da muss der Lärm oder der Feinstaub über einem gewissen Grenzwert sein.
Die Kommune kann nicht sagen: Ich möchte hier gern Tempo 30 einführen, aus Gründen der Verkehrssicherheit, bevor etwas passiert ist oder damit der Verkehr aus unserer Sicht besser fließt. Das ist aktuell nicht möglich. Und das wird auch nach der Gesetzesänderung nicht viel einfacher werden. Da hätte man als Gesetzgeber mehr Mut haben können, um den Kommunen freie Hand zu geben.
KNA: Wieviel Freiheit haben Städte denn innerorts – wenn sie zum Beispiel die Verkehrssituation vor einer Schule entzerren wollen?
Hilgenberg: Man kann temporäre Halteverbotszonen einrichten. In Paris ist es zum Beispiel keine Ausnahme, dass die Straßen vor einer Grundschule während der Schulzeiten für Autos gesperrt sind. Das hängt immer mit dem Mut der handelnden Akteure vor Ort zusammen. Das Ordnungsamt muss da jeden Tag stehen und muss klarmachen: Leute, so geht es nicht, es gibt Verkehrsregeln. Die müssen eingehalten werden.
KNA: Was würde die Menschen davon überzeugen, das Fahrrad dem Auto vorzuziehen?