Der frühere Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Ferdinand Kirchhof, plädiert für eine Verankerung weiterer Grundregeln für das Bundesverfassungsgericht im Grundgesetz. “Wir sollten diese drängende, wichtige Frage behutsam und ohne Zeitdruck angehen. Entwicklungen in Polen oder Ungarn zeigen, dass das Oberste Gericht besser vor möglichen Zugriffen durch illiberale Regierungen geschützt werden sollte”, sagte Kirchhof am Freitag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
Bislang sind zentrale Regeln zur Arbeitsweise, zur Besetzung, zur Amtszeit und zu den Kompetenzen des Verfassungsgerichts nicht im Grundgesetz, sondern in einem eigenen Gesetz geregelt. Diese Gesetzesvorschriften können – anders als die Verfassung selbst – mit einfacher Mehrheit des Bundestags geändert werden.
Kirchhof schlägt vor, den Aufbau des Gerichts in zwei Senate mit je acht Richterinnen oder Richtern sowie die auf zwölf Jahre befristete Amtszeit direkt ins Grundgesetz zu schreiben. “Wir sind mit dieser Struktur des Gerichts über die Jahrzehnte sehr gut gefahren, daher sollte es künftig sehr hohe Hürden geben, um hier etwas zu ändern.” Die weiteren Details zum Prozessrecht sieht Kirchhof dagegen auch künftig besser im Bundesverfassungsgerichtsgesetz aufgehoben.
“Eine drängende Frage ist aber zusätzlich, wie wir effektiv verhindern können, dass es bei der Wahl von Richtern zu einer Blockade kommen könnte”, sagte Kirchhof. Besonders im Bundestag, der im Wechsel mit dem Bundesrat die Verfassungsrichter wählt, könnte es aufgrund der neuen Parteienlandschaft leicht zu Sperrminoritäten kommen, fürchtet der frühere Verfassungsrichter. “Wir müssen gar nicht zu sehr auf die AfD schauen, denn wenn die Parteienlandschaft mit Linken, Sahra Wagenknecht und Werteunion bunter wird, dürfte es künftig schwerer werden, sich mit Zwei-Drittel-Mehrheit parteiübergreifend auf einen neuen Richter zu einigen.”
Kirchhof verweist darauf, dass es international schon zu jahrelangen Blockaden für Richterernennungen gekommen sei. Er schlägt deshalb vor, einen ergänzten Wahlmodus in das Grundgesetz aufzunehmen. “Beispielsweise könnte der Bundestag dann nach Ende der Amtszeit eines Richters drei Monate Zeit haben, um einen Nachfolger zu wählen. Wenn das nicht gelingt, würde das Verfassungsgericht selbst eine Dreier-Kandidatenliste vorschlagen.” Und nur wenn auch hier innerhalb eines Monats keine Wahl gelinge, wäre als ultima ratio automatisch der auf Platz 1 gesetzte Richter gewählt.
Die lange nur in Fachkreisen geführten Debatten gewinnen aktuell an öffentlicher Beachtung. Zuletzt sprachen sich beispielsweise Justizminister Marco Buschmann (FDP) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dafür aus, eine Debatte zur Stärkung der Resilienz des Verfassungsgerichts voranzubringen. Auch die Justizminister der Bundesländer sehen Handlungsbedarf und kündigten entsprechende Vorschläge an.
Ein Experten-Diskussionspapier legte bereits drei konkrete Varianten für mögliche Lösungen vor. Für die Verfassungsrechtler wäre erstens denkbar, eine “Einvernehmenslösung” im Grundgesetz zu verankern: Demnach müssten die Richter und Richterinnen des Verfassungsgerichts selbst zustimmen, wenn gesetzliche Regelungen zum Aufbau des Gerichts, zur Wahl und zu Aufgaben der Richter geändert werden.
Laut der zweiten Variante blieben die Arbeitsweisen, Aufgaben sowie die Wahl der Verfassungsrichter zwar wie bislang im Gesetz über das Bundesverfassungsgericht verankert. Ein neuer Passus im Grundgesetz würde aber festlegen, dass wesentliche Änderungen daran nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit des Bundestags erfolgen könnten.
Die dritte, weitreichendste Variante würde schließlich die wesentlichen Vorgaben zu Funktion und Rolle des Bundesverfassungsgerichts direkt in das Grundgesetz einschreiben. Jede Änderung einer insoweit geänderten Verfassung wäre wiederum nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit möglich.
Kirchhof zeigte sich dabei für die erste und dritte Variante offen. Das Bundesverfassungsgerichtsgesetz wie in Variante Zwei vorgesehen als einfaches Gesetz mit Verfassungsrang auszustatten, lehnte er dagegen ab.