Der 7. Oktober und der Gazakrieg können Freundschaften belasten. Der offizielle jüdisch-muslimische Dialog hat es ebenfalls schwer, sagt der Generalsekretär der Europäischen Rabbinerkonferenz – und lobt den Vatikan.
Es ist kompliziert – und erscheint oft unmöglich. Das Gespräch zwischen Juden und Muslimen ist nach dem 7. Oktober 2023 in weiten Teilen zum Erliegen gekommen. Dennoch glaubt Gady Gronich fest daran, dass religiöse Führungspersönlichkeiten Menschen erreichen und das Klima von Angst, Unsicherheit und Hass überwinden helfen können. “Ich will, dass wir miteinander reden”, sagt der Generalsekretär der Europäischen Rabbinerkonferenz und zeigt sich auch für säkulare Gesellschaften überzeugt: “Man hört den Religionsführern zu. Oft mehr als Politikern.”
Für Jüdinnen und Juden in Israel und anderswo ist der 7. Oktober eine Zäsur. Erst das Massaker der Hamas, dann der Krieg im Gazastreifen, der in Europa auch Kritik bis hin zu Hass auf Israel und Jüdinnen und Juden nach sich zog. In Deutschland lag die Zahl antisemitisch motivierter Straftaten im vergangenen Jahr laut Bundeskriminalamt auf einem Höchststand mit 5.164 Delikten inklusive 148 Gewalttaten: “Der massive Anstieg (2022: 2.641, davon 88 Gewalttaten) ist vor allem auf den Anstieg nach dem 7. Oktober 2023 zurückzuführen”, so das Amt. Gronich drückt es so aus: “Die Straße in Europa kocht.”
Um die Temperatur wieder herunterzudrehen, muss man aus seiner Sicht über Religionsgrenzen hinweg miteinander reden. Das Problem: “Es ist schwierig, hochrangige Vertreter des Islams zu finden”, so Gronich, der selbst lange in Israel gelebt hat. “Sie haben Angst, Angst vor den Hardlinern in den eigenen Reihen. Ich dachte eigentlich, wir hätten gute Beziehungen in die islamische Welt, das Ergebnis jetzt ist allerdings ernüchternd.” Es liege beispielsweise nicht an der Europäischen Rabbinerkonferenz, denn sie stehe für Gespräche zur Verfügung – auch nach dem 7. Oktober, betont der Generalsekretär.
Die Europäische Rabbinerkonferenz wurde 1956 gegründet und vertritt nach eigenen Angaben rund 1.000 Mitglieder und 800 aktive Rabbiner der orthodoxen Richtung. Sie tritt für die religiösen Rechte von Jüdinnen und Juden in Europa ein und engagiert sich für Religionsfreiheit und den interreligiösen Dialog.
Abdassamad El Yazidi, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland, teilt Gronichs Sicht so nicht. Er selbst habe schon kurz nach dem 7. Oktober bei einem Podium mit dem Vorsitzenden des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Hessen, Daniel Neumann, neben klaren Erwartungen versöhnliche Botschaften gesetzt. Der Zentralrat der Muslime suche weiter den Dialog mit jüdischen Vertretern, die El Yazidi Freunde nennt. “Aber zurzeit nicht öffentlich in den Moscheen”, räumt er ein. “Wir haben in unseren Gemeinden teilweise Palästinenser, die haben 30 Familienmitglieder in Gaza verloren – da sind die Emotionen zu stark für öffentliche konstruktive Dialogveranstaltungen.”
Neben dem Zentralrat gibt es etliche weitere Islamverbände. Der Islam sei eben nicht organisiert wie etwa die katholische Kirche mit dem Papst und dem Vatikan, gibt Gronich zu bedenken. Auch deshalb sei es nicht einfach, geeignete Gesprächspartner zu finden. Häufiger seien Begegnungen unter vier Augen. Apropos Vatikan: Mit dessen Vertretern gebe es einen Dialog, betont Gronich. “Er könnte besser sein, aber er ist im Gegensatz zum Islam nicht eingeschlafen.” Die Gespräche laufen auf diversen Ebenen, und auch Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt, Präsident der Europäischen Rabbinerkonferenz, hat bereits mehrmals Papst Franziskus getroffen.
Auch der Jüdische Weltkongress hat einen Vertreter beim Heiligen Stuhl: Viktor Eichner. Erst im August sagte Eichner der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), dass die Beziehungen zur katholischen Kirche für das Judentum sehr wichtig seien. “Es gibt bei den Katholiken ein tiefes Verständnis über die jüdische Identität und Religion. Das wollen wir nutzen, um weitere Partnerschaften zu knüpfen.” Mit Blick auf den Gazakrieg betonte Eichner, dass er neben schrecklichem Leid auf beiden Seiten auch wichtige Projekte, etwa für Menschenrechte und ein friedliches Zusammenleben, verhindere.
Gronich ist viel unterwegs, in Europa und Israel. “Die Menschen dort leben in Angst”, betont er. Israelis seien Optimisten, aber nun sehr in Sorge, auch wegen einer Spaltung der Gesellschaft und wegen der regierenden, teilweise rechtsextremen Parteien. Im Judentum stehen im Oktober wichtige Feiertage an, angefangen mit dem Neujahrsfest Rosch Haschana, das am 2. Oktober beginnt. Auf das neue jüdische Jahr 5785 blickt Gronich mit Hoffnung, aber auch besorgt: Hoffnung auf Frieden, Ruhe und Normalität, Sorge um die Zukunft Israels.