Artikel teilen:

„Er war das Genie“

Karl Marx gilt als einflussreichster Theoretiker des Kommunismus. Umstritten sind die Analysen des Mannes mit dem Rauschebart bis heute. Doch Globalisierung, Finanzcrash und Klimawandel rücken seine Ideen in ein neues Licht

akg-images

Er war Philosoph, Ökonom, Journalist, Religionskritiker und Flüchtling: Karl Marx (1818-1883), der Schöpfer der marxistischen Wissenschaftstheorie. Über ihn sagte sein lebenslanger Mitstreiter Friedrich Engels: „Der Kampf war sein Element. Mitzuwirken am Sturz der kapitalistischen Gesellschaft (…) und der Befreiung des modernen Proletariats (…), das war sein wirklicher Lebensberuf.“ Vor 200 Jahren, am 5. Mai 1818, wurde Karl Marx in Trier geboren.
Der Mann mit dem wallenden Vollbart wurde zum Kritiker des Kapitalismus, der bürgerlichen Gesellschaft – und damit auch der Kirchen – schlechthin. Mehrfach hat man ihn als Aufrührer des Landes verwiesen. Der Vordenker einer „proletarischen Revolution“ verbrachte fast sein ganzes Leben lang als Staatenloser im Exil.
Kaum eine historische Figur des 19. Jahrhunderts ist heute noch so bekannt und gleichermaßen umstritten wie Marx, auch, weil seine Erkenntnisse die Blaupause lieferten für viele, letztlich gescheiterte sozialistische Gesellschafts- und Wirtschaftsmodelle, für kommunistische Diktaturen mit Unterdrückung und Terror.

Fast ein ganzes Leben als Staatenloser im Exil

Marx hinterließ eine Fülle überaus sperriger Schriften, die aber noch immer einen erstaunlichen Sog ausüben. Angesichts von Globalisierung, wachsender sozialer Ungleichheit, Finanzcrash und Klimawandel steht für viele die Frage im Raum, ob sich der Kapitalismus, wie von Marx vorhergesagt, womöglich doch selbst auffrisst.
„Er konnte brillant formulieren, hatte eine schnelle Auffassungsgabe und dazu ein unglaubliches enzyklopädisches Wissen. Ein später Universalgelehrter mit großer intellektueller Spannbreite. Gleichzeitig berichten Zeitzeugen von seiner schneidenden Arroganz“, sagt Marx-Biograph Jürgen Neffe. Die Jenaer Historikerin und Buchautorin Christina Morina urteilt: „Marx formulierte Emotionen auf eine Weise, wie es seinerzeit keiner vor ihm und vielleicht nur Engels mit und nach ihm konnte.“
Die Eltern stammten aus Rabbinerfamilien, Karl Marx und seine Geschwister wurden aber protestantisch getauft. Marx studierte Rechtswissenschaft und Philosophie in Bonn und Berlin, promovierte in Jena. In Berlin kommt er immer mehr mit religionskritischen Denkern des Linkshegelianismus in Kontakt. Für sie gilt Gott als Erfindung des Menschen, in der dieser sich selbst entfremde. „Marx durchläuft im Schnelldurchgang die metaphysische Evolution vom Judaismus über das Christentum zur Gottlosigkeit als final wünschenswertem Zustand“, schreibt Jürgen Neffe. Dennoch sei Marx kein expliziter Gegner des Christentums gewesen. Er habe vielmehr jede Religion auf ihre Weise kritisiert. Viel zitiert ist sein Urteil über Religion als „Opium des Volks“.
Weil ihm als oppositionellem Denker in Preußen eine Professorenlaufbahn verwehrt blieb, wurde er freier Mitarbeiter, später Chefredakteur der liberalen „Rheinischen Zeitung“ in Köln, wo er 1842 erstmals den Fabrikantensohn Friedrich Engels (1820-1895) traf.
Marx eckte mit seinen Elogen auf den Kommunismus an und musste nach Paris ziehen, 1845 dann weiter nach Brüssel. Das Geld war immer knapp. Jenny Marx redigierte die Texte ihres Mannes, „übersetzte“ dessen kaum lesbare Handschrift für die Drucker. Die Familie überlebte nur dank finanzieller Hilfen, die ihnen Engels zukommen ließ. 1848 erschien das Kommunistische Manifest – die Gründungsurkunde des modernen Kommunismus. Marx legt dar, warum der Zwang zur Maximierung des Mehrwerts und die steten Konzentrationsprozesse innerhalb der Wirtschaft nach seiner Auffassung unausweichlich zum Ende des Kapitalismus führen müssen.
Dieses System könne den Reichtum der Gesellschaft auf lange Sicht „nur entwickeln, indem es zugleich die Springquellen allen Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter“, heißt es später im „Kapital“. „Die Zentralisation der Produktionsmittel und die Vergesellschaftung der Arbeit erreichen einen Punkt, wo sie unverträglich werden mit ihrer kapitalistischen Hülle. Sie wird gesprengt. Die Stunde des kapitalistischen Privateigentums schlägt.“
1848 musste Marx mit seiner Familie auch Brüssel verlassen. Sie gingen zunächst zurück nach Köln, dann endgültig nach London. Dort durchlebten sie schwere Zeiten, drei der sieben Kinder starben, die Ehe kriselte.
Marx arbeitete unablässig an seinem Hauptwerk „Das Kapital“, dessen erster Band 1867 erschien. Später sollten es drei sein, die stolze 2200 Seiten zählen. Am 14. März 1883 starb Karl Marx in London, 15 Monate nach seiner Frau. Engels würdigte Karl Marx als einen Freund, der „tiefer und weiter geschaut hat als alle, er war das Genie, wir allenfalls Talente“.
Marx war jedoch nicht der „Erfinder“ des Kommunismus. Visionen egalitärer Gesellschaftssysteme waren längst in der Welt. Marx' Lehre sei die „rechtmäßige Erbin des Besten, was die Menschheit im 19. Jahrhundert in Gestalt der deutschen Philosophie, der englischen politischen Ökonomie und des französischen Sozialismus hervorgebracht hat“, urteilte später Lenin.

Immer das Wohl der Menschheit im Blick

Der jüdische Sozialist Moses Hess, der Marx wohl als erster die Idee des Kommunismus nahebrachte, schrieb 1841 in einem Brief an einen Freund: „Denke Dir Rousseau, Voltaire, Holbach, Lessing, Heine und Hegel in einer Person vereinigt; ich sage vereinigt, nicht zusammengeschmissen, so hast Du Dr. Marx.“
Marx ging einen beschwerlichen Lebensweg, prinzipientreu und von starkem Sendungsbewusstsein getragen, das schon früh aufblitzte. Sein Thema im Abituraufsatz lautete: „Betrachtung eines Jünglings bei der Wahl des Berufes“. Dazu schrieb der Abiturient Marx: „Die Hauptlenkerin bei der Wahl des Berufes muss das Wohl der Menschheit sein (…). Wenn der Mensche nur für sich allein schafft, kann er wohl ein berühmter Gelehrter, ein großer Weiser, ein ausgezeichneter Dichter, aber nie ein vollendeter, wahrhaft großer Mensch sein.“

Die Ausstellung „Karl Marx. 1818-1883. Leben, Werk, Zeit“ in Trier wird am 5. Mai eröffnet. Internet: https://www.karl-marx-ausstellung.de/home.html. Christina Morina: „Die Erfindung des Marxismus. Wie eine Idee die Welt eroberte“. Siedler Verlag 2017, 25 Euro. Jürgen Neffe: „Marx – Der Unvollendete“. C. Bertelsmann-Verlag 2017, 28 Euro.