Mit der sechsten Staffel endet “The Handmaid’s Tale”. Ausgerechnet in einer Zeit, wo die Fiktion Realität zu werden droht. Erstes Fazit: Eine wegweisende Serie über machtversessenen Missbrauch von Religion geht zu Ende.
Kanada ist – wer würde dies bestreiten – eine topographisch spektakuläre, international geachtete, politisch selbstbewusste und allem Anschein nach standhafte Nation. Sie lässt sich daher von niemandem so leicht unterkriegen. Auch nicht vom Druck der weltgrößten Militär- und Wirtschaftsmacht, die das Rückgrat des zweitgrößten Landes gerade einem Belastungstest aussetzt, dem beileibe nicht jeder widerstehen würde. Wer dabei aus sicherer Entfernung beobachtet, kann dem fiktionalen Kanada jetzt zum letzten Mal bei diesem Kampf zusehen.
Hier ist es ein Hort liberaler Ideale, der dem Faschismus im Süden trotzt. Und nein – damit ist nicht Donald Trumps Zoll-Regime gemeint. Es geht um Gilead. Benannt nach einem Reich biblischen Ursprungs, haben in der MagentaTV-Serie christliche Fundamentalisten die USA in dieses postapokalyptische Patriarchat verwandelt, das den letzten Rest fruchtbarer Frauen zu Gebärmaschinen degradiert. Ein Horrorszenario, das beim Serienstart 2017 ähnlich undenkbar schien wie die Rückkehr der Taliban in Afghanistan oder fünf Jahre später Trumps Rückkehr ins Weiße Haus.
Wenn “The Handmaid’s Tale” nun mit der sechsten Staffel endet, zeigt sich also auch das prophetische Potenzial der Hauptverantwortlichen dieser aufsehenerregenden Serie. Kurz nachdem Margaret Atwood 1985 den zugehörigen Roman geschrieben hatte, versprach Francis Fukuyama im Licht des Mauerfalls das “Ende der Geschichte” und meinte damit vor allem die Gegner von Liberalismus, Marktwirtschaft, Demokratie. Als Bruce Miller den Besteller dann 2016 zur Serie aufbereiten ließ, schien der erste schwarze US-Präsident Barack Obama dem Showrunner trotz aller Finanz- und Staatskrisen sogar Recht zu geben.
Dieser Optimismus hat sich vor dem Start der letzten acht von 68 Folgen in Luft auflöst. Schließlich wird nicht nur das Gilead-Territorium gerade von einer Clique antipluralistischer Frauenfeinde regiert. In aller Welt befinden sich die Errungenschaften der Aufklärung sowie der jahrhundertelangen Befreiungskämpfe auf dem Rückzug. Nur Teile Europas halten dem rechtspopulistischen Sturm noch Stand. Und natürlich Kanada, versteht sich, das nächstgelegene Refugium. Dorthin zog es folglich auch die Hauptfigur June (Elisabeth Moss), nachdem sie ihr Dasein zwei Staffeln lang als lebender Brutkasten gefristet hatte.
Nach furchtbarer Irrfahrt durch die Herrenhäuser und Frauenkäfige Gileads verhalf sie 86 Kindern zur Flucht ins gelobte Land im Norden. Mehr noch: mit Ehemann Luke (Olatunde Fagbenle), der Verbündeten Moira (Samira Wiley) und dem Kollaborateur Tuello (Sam Jaeger) baute June in Kanada eine Form feministischer Widerstandsbewegung entflohener Mägde auf. Gegen das alttestamentarische Regime im Süden, dessen Religiosität nur als Feigenblatt männlicher Machtgelüste dient. Doch zu Beginn der finalen Staffel ist auch dieser Rückzugsort bedroht.
Da Kanada Flüchtlinge wie June wieder ausweist, sitzt sie mit Baby und gebrochenem Arm plötzlich neben der verhassten Witwe (Yvonne Strahovski) ihres alten Besitzers im Zug nach Süden, wo der Kampf gegen die Unterdrückung weitergeht. Wie genau, wird hier nicht verraten. Was die Serie in den ersten Staffeln allerdings faszinierend machte, findet auch jetzt seine Fortsetzung. Denn abgesehen von der grundbösen Aufseherin Lydia (Anne Dowd) leiden Opfer und Täter, Sklavinnen wie Halter gleichermaßen an der retrofuturistischen Steinzeittyrannei.
Selbst die Profiteure haben wenig Freude an ihrer schönen neuen Welt. Und genau darin besteht die Faszination dieser zeitlosen Near-Future-Serie, deren Ästhetik zugleich anzieht und abstößt. Elisabeth Moss verkörpert perfekt Junes Achterbahnfahrt von untertäniger Demut über aufkeimende Renitenz bis zur entfesselten, aber kontrollierten Wut. Dem kann sie allein mit ihrer Mimik Ausdruck verleihen wie kaum eine Schauspielerin sonst.
Wenn ihr Ringen um Selbstbehauptung für sich und ihre Schicksalsgenossinnen schließlich im Rachefeldzug gipfelt, haben sich einige der Eskalationsspiralen zwar abgenutzt. Sie entfalten allerdings auch weiterhin einen Sog, dem man sich anders als bei der auserzählten Referenzgröße “The Walking Dead” schwer entziehen kann. Das liegt wohl auch an der bedrückenden Atmosphäre und ihrer fabelhaften Ausstattung.
Zwischen Darth Vaders tiefschwarzem Helm (“Star Wars”) und Uma Thurmans dottergelbem Overall (“Kill Bill”) zieren die blutroten Kutten unter schneeweißen Hauben aus “The Handmaid’s Tale” schließlich längst das Museum ikonischer Filmaccessoires.
Wenn beim Showdown die unverwüstliche Hauptfigur so angetan mit ihrer kleinen Armee aufsässiger Mägde in eine hochherrschaftliche Hochzeit in retrofuturistischer Cyberpunk-Ästhetik einmarschiert und dabei “lieber Gott, gib uns die Kraft, diese gottverdammten Motherfucker zu töten” zischt, schaltet das Format ein letztes Mal in jenen Überwältigungsmodus, der es so unvergleichlich macht. Und zieht – was zusehends kritische Bewertungen auf Portalen wie “Metacritics” oder “Rotten Tomatos” unterstreichen – noch rechtzeitig einen Schlussstrich. Eine wegweisende Serie über den machtversessenen Missbrauch von Religion geht zu Ende.