Fachwerkhäuser, grüne Wiesen, eine Hügelkette am Horizont. Warm scheint die Frühlingssonne auf die Gleise. Ein Zug hält vor dem historischen Bahnhof der Gemeinde Friedland im Landkreis Göttingen. Zwei Frauen mit Kopftuch und Kinderwagen steigen aus – zwei Flüchtlinge von über vier Millionen, für die das Lager Friedland zur ersten Adresse nach ihrer Ankunft in Deutschland wurde. Sie rücken ins Zentrum des kulturhistorischen Interesses: Unter dem Motto „Abschied, Ankunft, Neubeginn“ ist im Bahnhofsgebäude von 1890 eine Ausstellung zu sehen, die die Migrationsgeschichte des Ortes von über sieben Jahrzehnten erzählt.
Hunderttausende durchquerten den Bahnhof auf ihrem Weg in das Grenzdurchgangslager Friedland, das 1945 eröffnet wurde und in Sichtweite des neuen Museums liegt. 20 Millionen Euro stellten das Land Niedersachsen und der Bund für das Projekt zur Verfügung, dessen erster Bauabschnitt nun vollendet ist. Besucherzentrum und internationale Jugendbegegnungsstätte sollen bis 2021 folgen. 400 Exponate werden ausgestellt, darunter zahlreiche Fotos und Fluchtutensilien. 120 Zeitzeugen wurden befragt.
Ursprünglich von der britischen Besatzungsmacht als Lager für Flüchtlinge und Vertriebene eingerichtet, dient es heute als Erstaufnahmeeinrichtung für Spätaussiedler, jüdische Zuwanderer aus der Sowjetunion, Asylsuchende sowie Flüchtlinge. 1955 erlangte es überregionale Bekanntheit durch die letzten Kriegsheimkehrer. Daneben wurden in Friedland aber auch immer wieder unterschiedlichste Flüchtlingsgruppen aus verschiedenen Ländern aufgenommen – Boatpeople aus Vietnam etwa oder politische Flüchtlinge aus Chile.
Es sind vornehmlich Erfolgsgeschichten der Integration, die das Museum dokumentiert – „einfach weil die Recherche der gescheiterten Lebensgeschichten sehr schwierig ist“, erklärt Kurator Joachim Baur. Die Betroffenen gäben verständlicherweise weniger offen Auskunft und seien auch nicht so leicht aufzuspüren. „Man darf aber nicht aus dem Blick verlieren, dass auch sie zur Realität gehören.“
Das Lager in „Halbdistanz zum Bahnhof“, das zur Zeit vornehmlich Asylbewerber aus Syrien, Afghanistan und Irak beherbergt, ist Teil des Museumskonzepts. Migrationsforscher Baur ist es wichtig, dass keine Hierarchien entstehen: Geplant ist etwa, dass eine Führung pro Tag die Museumsbesucher von der Ausstellung auch zum Durchgangslager bringt. Im Gegenzug werden Flüchtlinge durch die Ausstellung im Bahnhofsgebäude führen.
Sieben Jahrzehnte in sieben Räumen dokumentieren die Geschichte der Migration in Friedland, chronologisch aufgebaut von 1945 bis zur Gegenwart. Zwischen 1959 und 1969 stand das Lager ganz im Zeichen des Kalten Krieges. Eine meterhohe Mauer, die einen Ausstellungsraum durchtrennt, symbolisiert den Eisernen Vorhang. Durchbrochen wird er von einem Bolzenschneider, hinter Glas ausgestellt. Mit diesem durchschnitten 1963 Flüchtende aus Böseckendorf den Stacheldraht der direkt am Ort vorbeigehenden innerdeutschen Grenze und gelangten so ins nahe gelegene Friedland.
Fluchtgeschichten erzählen auch andere Ausstellungsstücke: etwa ein Silberlöffel von 1947 – den rettete ein kleines Mädchen aus dem Memelland als einzige Erinnerung an seine Großmutter, die auf dem Weg in den Westen starb. Oder ein Fundstück aus dem Jahr 2014: Ein syrischer Flüchtling, der Aufnahme in Friedland fand, stellte dem Museum eine Unterhose zur Verfügung, die er bei der Flucht trug und in die er sein Geld einnähte.
Auch das gläserne Treppenhaus – als einziges modernes Element an den Bahnhof angebaut – verbindet die Vergangenheit mit der Gegenwart. Es trägt Schriftzüge, die in die Himmelsrichtung der Orte weisen, aus denen die Migrantengenerationen stammen: Stettin etwa, 385 Kilometer entfernt. Und Aleppo – 2736 Kilometer.
Der Kirchturm von Sankt Norbert ist von hier aus zu sehen. Das katholische Gotteshaus des Lagers wurde 1955 erbaut – ein Ort, der sich der Nöte der Geflohenen bis heute annimmt. Im ausliegenden Fürbittenbuch steht zu lesen: „Gott, gibt uns Kraft und Gesundheit im neuen Land.“
Öffnungszeiten: Mittwoch bis Sonntag, 10-18 Uhr. Internet: http://www.museum-friedland.de.