Artikel teilen

Durchs kalte Wasser

Andacht über den Predigttext zum 1. Sonntag nach Epiphanias: Josua 3, 5-11.17

Predigttext
5 Und Josua sprach zum Volk: Heiligt euch, denn morgen wird der Herr Wunder unter euch tun. 6 Und Josua sprach zu den Priestern: Hebt die Bundeslade auf und geht vor dem Volk her! Da hoben sie die Bundeslade auf und gingen vor dem Volk her. 7 Und der Herr sprach zu Josua: Heute will ich anfangen, dich groß zu machen vor ganz Israel, damit sie wissen: Wie ich mit Mose gewesen bin, so werde ich auch mit dir sein. 8 Und du gebiete den Priestern, die die Bundeslade tragen, und sprich: Wenn ihr an das Wasser des Jordans herankommt, so bleibt im Jordan stehen. 9 Und Josua sprach zu den Israeliten: Herzu! Hört die Worte des Herrn, eures Gottes! 10 Daran sollt ihr merken, dass ein lebendiger Gott unter euch ist und dass er vor euch vertreiben wird die Kanaaniter, Hetiter, Hiwiter, Perisiter, Girgaschiter, Amoriter und Jebusiter: 11 Siehe, die Lade des Bundes des Herrn der ganzen Erde wird vor euch hergehen in den Jordan. (…) 17 Und die Priester, die die Lade des Bundes des Herrn trugen, standen still im Trockenen mitten im Jordan. Und ganz Israel ging auf trockenem Boden hindurch, bis das ganze Volk über den Jordan gekommen war.

Wade in the water, wade in the water. God’s gonna trouble the Water“ – „Watet im Wasser. Gott wird das Wasser bewegen“. So heißt ein Spiritual, mit dem sich die schwarzen Sklaven Amerikas in die Freiheitsgeschichte des Volkes Israels hinsangen und hineinhofften. Entstanden im 19. Jahrhundert, wurde es später von vielen Jazz und Pop-Größen aufgegriffen.
Das Lied erinnert an Israels Auszug aus Ägypten und das Wunder am Schilfmeer.
Watet ins Wasser. Wagt euch ins Wasser, denn Gott wird das Wasser bewegen. Sich reintrauen und sei es noch so ungewöhnlich, ungewiss oder bedrohlich – und hinüberkommen.
Für die Sklaven, die singend das Wunder am Schilfmeer und Gottes heilsames Tun erinnern, lag zwischen den Zeilen übrigens ein geheimer und buchstäblich lebensrettender Hinweis. Denn wer aus der Sklaverei floh, konnte die Verfolger abschütteln, wenn er Kanäle und Wassergräben als Fluchtweg nutzte, wo die Hunde der Sklavenjäger die Spuren verloren. Watet im Wasser!
Ins Unbekannte waten und die alten Wunder wiederholen, einen eigenen Weg wagen und darauf trauen, dass die alten Geschichten auch im Neuen gelten. Darum geht es am Anfang eines neuen Jahres und wo immer wir in Beruf oder im Privaten vor einer Entscheidung oder an einer Wegmarke stehen. Darum geht es, wenn Jesus – im Evangelium für diesen Sonntag  – in den Jordan steigt, um sich taufen zu lassen, und den Himmel offen über sich sieht. Und darum geht es im Josuabuch, wo das Volk Israel, den Weg durch Schilfmeer und Wüste im Rücken, nun das gelobte Land vor sich hat.
 „Wenn ihr an das Wasser des Jordans herankommt, so bleibt im Jordan stehen … Und ganz Israel ging auf trockenem Boden hindurch.“
Warum eigentlich muss Israel jetzt beim Einzug ins Neue die alte Geschichte vom Auszug nachspielen? Wo doch kein Feind hinter ihnen und kein unüberwindliches Meer vor ihnen ist, sondern ein Fluss, zwar tief, aber doch zu bewältigen.
Vor ihnen liegt das Gelobte Land – ein Land, um das bis heute oft mit blanker Gewalt gestritten wird; einer Gewalt, die Gott erlaubt oder gar befohlen habe, wie gerade vom Buch Josua her behauptet wird.
Aber es lohnt, genau hinzuhören. Josua, nicht Gott, träumt von Vertreibung. Gott aber lässt keine Pontonbrücken bauen und schickt keinen Stoßtrupp von Kämpfern vor, sondern den Schrein mit den Zehn Geboten.
So wird klar: Das Land der Verheißung lässt sich nicht erstürmen. Ins Land der Freiheit, das seinen Namen zu Recht trägt, führt kein Weg an Recht und Gerechtigkeit vorbei. Umgekehrt, da geht Gottes Weisung voran: Du sollst Gottes Namen nicht missbrauchen; nicht töten, nicht falsch Zeugnis reden, nicht begehren deines Nächsten
Haus …
Ach, wenn doch alle, die in Israel und Palästina streiten um Leben und Land, um Auskommen und Sicherheit diesen Wegweisern in ein wirklich gelobtes Land folgten!
Und wenn doch wenigstens wir Christen und Christinnen das begreifen würden, auf den Wegen und vor den Hindernissen, die vor uns liegen, vor unserer Kirche und jeder und jedem. Wieviel Kampf und wieviel Krampf erlegen wir uns oft auf, um Glück und Zukunft zu erobern!
Ich möchte lernen: Nicht ums Erobern und Ergreifen geht es, sondern ums Erwa(r)ten, um das Wagnis, stillzuhalten, ums Einsteigen in die alten Geschichten und ums staunende Neuwerden darin.