Bielefeld. Die stellvertretende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, hat sich kritisch zur starken Fokussierung auf die Person Martin Luthers (1483-1546) im Jahr des Reformationsjubiläums geäußert. Darunter habe hier und da das "genuin Protestantische" gelitten, sagte die westfälische Präses in Bielefeld dem Evangelischen Pressedienst (epd): "Reformation ist mehr als Martin Luther." Sie reiche auch in ihren Ursprüngen weit über Deutschland und Europa hinaus. Im Jahr 1517 hatte Luther 95 Thesen gegen die Missstände der Kirche seiner Zeit veröffentlicht. Der legendäre Thesenanschlag gilt als Ausgangspunkt der weltweiten Reformation.
Insgesamt wertet die leitende Theologin der Evangelischen Kirche von Westfalen die zahlreichen Veranstaltungen im Jubiläumsjahr aber als großen Gewinn für Kirche und Gesellschaft. Es sei deutlich geworden, wie viele Impulse aus der Reformation hoch aktuell und hilfreich seien für die Herausforderungen der Gegenwart, sagte die 54-Jährige. Viele Protestanten fragten neu, warum sie evangelisch seien und was das bedeute. Auch Menschen, die nicht zur kirchlichen Kerngemeinde gehören, seien mit ihren Lebensthemen erreicht worden.
Probleme hausgemacht
Zum ersten Mal sei es zudem gelungen, ein Reformationsjubiläum nicht in Abgrenzung zur katholischen Kirche zu feiern, sondern mit starken ökumenischen Akzenten, betonte die stellvertretende EKD-Ratsvorsitzende. "Das wird Folgen für das weitere Miteinander unserer Kirchen haben und war insofern ein unentbehrlicher Akzent dieses Feier-Jahres."
Das Ende des Jubiläumsjahres am 31. Oktober markiert für Kurschus einen Doppelpunkt. Die Erfahrungen des Jubiläums könnten als Kraftquelle und Sprungbrett wirken für die Umsetzung neuer Ideen, sagte sie. "Reformen werden notwendig sein." Auch ohne dauernde Events und Highlights bleibe die evangelische Kirche aktiv und interessant.
Als hausgemacht bezeichnete Kurschus die Enttäuschung über unerwartet niedrige Besucherzahlen bei der Weltausstellung Reformation in Wittenberg und bei den "Kirchentagen auf dem Weg" Ende Mai. "Mit den Erwartungen riesiger Besucherzahlen haben wir uns selbst eine Falle gestellt", räumte die westfälische Präses ein. Allerdings habe niemand Erfahrung mit einem Jubiläum von solch herausragender Bedeutung und in den geplanten Dimensionen gehabt. "Das Ganze war in vieler Hinsicht ein mutiges Experiment", sagte Kurschus. "Auch im Nachhinein bin ich froh, dass wir es gewagt haben." (epd)