“Deutscher, iss mir die Knödel nicht weg!” – diese Hänselei mussten sich deutschsprachige Kinder in der Slowakei einst anhören. Lange wurde ihre Kultur unterdrückt. Nun entdecken immer mehr Slowaken ihr deutsches Erbe.
Wer im Café Mayer an seinem Pressburger Kipferl knabbert, wird von der Kaiserin beobachtet: In dem Traditionscafé hängt Sisi als Gemälde an der Wand – ein Relikt aus der Zeit, als mehr als die Hälfte der Einwohner des heutigen Bratislava noch deutschsprachig waren. Heute leben in der gesamten Slowakei nur noch an die 8.500 deutsche Muttersprachler, sogenannte Karpatendeutsche. Ihr Erbe in Zeiten von Abwanderung und Assimilation am Leben zu erhalten, hat sich eine Gruppe engagierter Kulturschützer zur Aufgabe gemacht.
Metzenseifen, Einsiedel, Hopgarten – in der Ostslowakei sind deutschsprachige Ortstafeln allgegenwärtig. An Schulen und Ämtern ist Deutsch in einigen Dörfern immer noch Verkehrssprache, auch privat spricht man in der Mundart. Einen einheitlichen Dialekt konnten die Karpatendeutschen jedoch nie entwickeln: Die deutsche Minderheit lebt in mehr oder weniger isolierten Sprachinseln quer über die Slowakei verteilt.
Auch Bratislava, eine Autostunde östlich von Wien, konnte sich ein Stück seines deutschen Erbes bewahren, erzählt Ondrej Pöss, Vorsitzender des Karpatendeutschen Vereins: “Wenn man mit den Leuten spricht, erzählen viele, dass ihre Großeltern deutsch waren. Manche sagen es voller Stolz. Das erste Hochhaus in Bratislava gehörte einer deutschen Fleischhacker-Familie.” Als Aushängeschild der deutschen Gemeinschaft dient Alt-Präsident Rudolf Schuster, von 1999 bis 2004 slowakisches Staatsoberhaupt. “Wir haben heute noch viele Abgeordnete auf kommunaler Ebene, mehrere Bürgermeister”, so Pöss.
Allerdings schwindet die Zahl deutschsprachiger Slowaken. Viele locken höhere Löhne in den Westen; die gemeinsame Sprache ist ihr Vorteil. “Es gibt auch viele junge Slowaken, die in Deutschland oder Österreich studieren – und die dann leider oft auch dortbleiben”, erzählt Katrin Litschko. Die Deutsche mit slowakischen Wurzeln ist Chefredakteurin des Monatsmagazins “Karpatenblatt”. Mit etwa 30 freien Mitarbeitern berichtet die Zeitschrift, die einzige in deutscher Sprache in der Slowakei, über das Gemeindeleben. Zudem will die Zeitung “Brücken schlagen zwischen der Slowakei, Deutschland und Österreich”, sagt Litschko.
Schlossgrund-Zuckermandel: Das historische Stadtviertel an der Donau ist nicht nur Sitz des “Karpatenblatt” und des Karpatendeutschen Vereins, hier liegt auch das Museum der Kultur der Karpatendeutschen. Es erzählt die wechselvolle Geschichte der Deutschslowaken. “Bis 1950 war es verboten, in der Öffentlichkeit Deutsch zu sprechen”, erinnert sich Museumsgründer Pöss. Nach dem Zweiten Weltkrieg seien die Karpatendeutschen, so wie andere deutsche Minderheiten in Europa, in eine Kollektivschuld genommen worden für die Verbrechen des NS-Regimes und seiner lokalen Sympathisanten.
Etwa drei Millionen Karpatendeutsche wurden vertrieben oder zwangsumgesiedelt. Viele Familien wurden dadurch zerrissen. Pöss’ eigene Verwandtschaft fand sich nach den Kriegswirren über die Slowakei, Ostdeutschland, Bayern und Österreich verstreut.
Während der kommunistischen Herrschaft war es erst verboten, später verpönt, seinen Kindern Deutsch beizubringen, erzählt Yannick Baumann. Der Kulturmanager wurde vom Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) nach Bratislava entsandt – und freut sich über eine wachsende Zahl junger Slowaken, die ihr deutsches Erbe wiederentdecken. Deutschsein komme allmählich “wieder in Mode”, lacht Baumann. Und verweist auf die neue Netflix-Serie “Pressburg”: “Darin wird auch mit den verschiedenen Klischees, der Vergangenheit und der Nostalgie gespielt.” Ebenso berichtet “Karpatenblatt”-Chefin Litschko von wachsendem Interesse unter Jugendlichen: “Einige kommen auf uns zu, erzählen, ihre Oma sei Karpatendeutsche gewesen, und wollen sich näher damit beschäftigen.”
Dass die Karpatendeutschen eine Zukunft haben, glaubt auch Patrik Lompart. Der Grundschullehrer in der ostslowakischen Kleinstadt Kesmark ist Vorsitzender der Karpatendeutschen Jugend. Sein Verein organisiert Workshops an Schulen, bringt Jugendlichen traditionelle karpatendeutsche Tänze bei und organisiert ein Jugendfest, zu dem jedes Jahr Karpatendeutsche unter 35 Jahren zusammenkommen. Die deutschslowakische Mundart Hopgärtnisch hat der Verein in einem Wörterbuch und Lied-Aufnahmen konserviert. “Unser Ziel ist es, das Erbe unserer Vorfahren zu erhalten, indem wir es weitergeben”, so Lompart.