Es ist ruhig an diesem Wintermorgen in der Istanbuler Unabhängigkeitsstraße. Hier, unweit des berühmten Galata-Turms, liegt eine der Haupteinkaufsmeilen der türkischen Millionenstadt. Mit Luxusmarken und Süßigkeitengeschäften lockt sie Kunden aus der Stadt und besonders Touristen an. Im Haus der Nummer 237 sind es vor allem Menschen, die Deutsch sprechen oder lernen: in der „Türk-Alman Kitabevi“, der einzigen türkisch-deutschen Buchhandlung Istanbuls.
Thomas Mühlbauer führt das Geschäft, das inzwischen eher ein Buch-Café ist, zusammen mit seinem Bruder Joseph in zweiter Generation. Sein Vater war 1955 nach russischer Kriegsgefangenschaft in das aufstrebende Istanbul gekommen und fühlte sich am Bosporus wohl. Er entdeckte das Interesse an deutscher Sprache, noch bevor Hunderttausende türkischer „Gastarbeiter“ das Land Heines und Goethes kennenlernten, und bot Bücher und Zeitschriften für die wachsende deutsch-türkische Community an.
„Mein Vater hat hier eine echte Adresse aufgebaut“, sagt Thomas Mühlbauer. Er selbst wurde in der Türkei geboren, hat seine Jugend in Deutschland verbracht und sich anschließend für ein Leben zwischen Marmara- und Mittelmeer entschieden. Der 57-Jährige liebt die quirlige Stadt und ihre Einwohner.
Inzwischen ist das türkisch-deutsche Buch-Café in der Istanbuler Innenstadt so etwas wie eine Institution der deutschen Sprache geworden. Unweit der deutschen Schule gelegen, einen Steinwurf vom Generalkonsulat entfernt und mit besten Beziehungen zur deutsch-türkischen Universität, bietet es Klassiker beider Länder in deutscher Sprache an. „Bei uns steht Orhan Pamuk ganz selbstverständlich nahe Hermann Hesse im Regal und so weiter“, erklärt Mühlbauer und zeigt von seinem Schreibtisch aus auf die Lutherbibel, die ihren Platz neben einer Koran-Übersetzung hat. Es herrscht eine gemütliche Atmosphäre, es gibt alte Möbel, Berge von Literatur. Doch es seien nicht nur die Bücher, die Menschen aus der Türkei, aus Deutschland und anderen Nationen hier bei ihm zusammenbrächten, sagt Mühlbauer.
Eine knarrende Holztreppe führt vom Buchladen im Erdgeschoss in den ersten Stock, wo er sein Café eingerichtet hat. Junge Leute sitzen an dunkel gebeizten Holztischen, Laptops sind aufgeklappt, eine Frau ist in ein Buch vertieft, neben sich eine Tasse Kaffee. Auf einer Schiefertafel vor dem Treppenaufgang wird Filterkaffee und deutscher Bienenstich angepriesen. Den Kuchen backt Mühlbauers Schwägerin. Das sei hier der Renner, sagt der Schwager: „Die Türken lieben ihn und für die Deutschen ist der Bienenstich ein Stück Zuhause. So wie auch unser Brot.“ Seit einigen Monaten ergänzen Sauerteigbrote das Café-Angebot.
Ein älterer Herr steht unschlüssig im Laden. „Das ist ja wirklich toll, was es hier alles gibt“, sagt er zu seiner Frau. Das Paar kommt aus Deutschland, ist mit einer Studienreise in der Türkei unterwegs und zufällig auf die Buchhandlung aufmerksam geworden. Sie nehmen sich einen Orhan Parmuk mit – „echt türkisch“, sagt der Mann.
Die großen Herausforderungen, vor denen der stationäre Buchhandel weltweit steht, gehen auch am Buch-Café in der Istiklal Straße nicht vorbei. „Die Digitalisierung verändert auch hier alles“, erklärt der Ladeninhaber. Seit einigen Jahren hat sich das Unternehmen zusammen mit einem Verlag auf ein breites Angebot an Lehrbüchern für Deutsch als Fremdsprache spezialisiert. Apps und digitale Anwendungen in den Universitäten und Schulen der Türkei führten jedoch zu einem spürbaren Nachfragerückgang.
Auch die schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse, in denen die Türken durch Hyperinflation und angesichts von Unsicherheiten schwebten, schlügen sich im Absatz nieder. „Am Buch wird am ehesten gespart“, sagt Mühlbauer. Hinzu komme: Der Raubdruck, also das illegale Kopieren von Büchern, seien in der Türkei zwar verboten. Urheberrechte aber seien anders als in Deutschland von geringer Bedeutung, weshalb der Bücher-Schwarzmarkt schon seit Jahren boome. Viele Händler und Käufer seien sich der Straftat nicht bewusst.
Trotzdem ist der Laden noch immer ein Anziehungs- und Treffpunkt. „Wir haben viele Studenten hier, die vorbeischauen und sich bei uns wohlfühlen, aber eben auch Ältere kommen und freuen sich über das ungewöhnliche Angebot aus Bienenstich, Buchhandlung und modernem Antiquariat“, sagt Mühlbauer. Und auch wenn die Unabhängigkeitsstraße an diesem Wintermorgen noch leer ist – an den kleinen Tischen des Cafés herrscht schon guter Betrieb. Ab und zu ist dabei sogar ein deutsches Wort zu vernehmen.