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Deus ex Machina

Militärflugzeuge kreisten bereits über der Stadt, und die Menschen erwarteten einen Kriegsausbruch. Doch dann endete der siebenjährige Spuk der griechischen Militärdiktatur ganz schnell: Als in der Nacht zum 24. Juli 1974 die Sondermaschine mit Konstantinos Karamanlis an Bord in Athen gelandet war, begrüßten am Straßenrand Tausende Menschen mit brennenden Kerzen in den Händen den konservativen Oppositionsführer auf der Fahrt ins Stadtzentrum. „Wir hatten die Nachricht mit dem Weltempfänger bei ausländischen Sendern gehört“, erzählt Burkhard Meyer, Ruhestandspfarrer aus Kassel. „Die Leute waren erleichtert.“ Der heute 86-Jährige erlebte den Zusammenbruch der Junta vor 50 Jahren vor Ort.

Griechische Offiziere hatten sich 1967 an die Macht geputscht und das südosteuropäische Königreich in eine rechtsextreme Diktatur verwandelt. Oppositionelle landeten im Gefängnis, griechische Frauen durften keine Miniröcke mehr tragen, Männer keine langen Haare. Vor 50 Jahren entglitt der Junta die Macht. Das Regime hatte im Juli 1974 einen Putsch gegen Makarios III., den demokratisch gesonnenen Präsidenten und Erzbischof der Republik Zypern angezettelt, eine türkische Intervention auf der Insel provoziert und um ein Haar einen Krieg zwischen den beiden Nato-Staaten Griechenland und Türkei ausgelöst.

Meyer war kurz nach dem Examen und wenige Monate nach dem Putsch nach Griechenland gekommen. Er blieb während der gesamten Zeit der Diktatur dort. Die Jahre in Athen seien, wie er sagt, für ihn zur prägendsten Zeit seines Lebens geworden. Offiziell war der Theologe zuständig für alle deutschsprachigen Protestanten in Griechenland und auf Zypern.

Auch für seine Gemeinde, die aus Diplomaten, Wirtschaftsvertretern, Archäologen, aber vor allem aus deutschen Frauen mit griechischem Ehepartner bestanden habe, hätten grundsätzlich die strengen Regeln der Junta gegolten, berichtet Meyer. Die verbotenen Lieder des Komponisten Mikis Theodorakis seien bei Gemeindetreffen nur heimlich gespielt worden: „Wir haben natürlich die Fenster schön zugemacht.“ Selbst den Gemeindebrief habe er der Zensurbehörde vorlegen müssen, bevor er in Druck gehen durfte.

Manche Vorschriften der Militärs erforderten besonders viel Einfallsreichtum. So hätten griechische Kinder zwar die deutsche Schule in Athen besuchen dürfen, aber nicht den „ketzerischen“ Religionsunterricht. Meyer, der ein Jahr lang mit einem Stipendium in Athen orthodoxe Theologie studiert hatte und fließend Griechisch spricht, entwarf extra einen orthodoxen Religionskurs. Immer wieder habe er auch Kurierdienste übernommen und Geld übergeben, das Amnesty International in Deutschland für die Familien verhafteter Regimegegner gesammelt hatte. Jedes Mal hätten ihm bei solchen Botengängen ein wenig die Knie gezittert, aber letztlich sei niemals etwas passiert.

Andererseits stand der gebürtige Berliner auch im regelmäßigen Kontakt zu Vertretern des Regimes, so gelang es ihm, mit dem Oberbürgermeister von Piräus den Aufbau einer Seemannsmission in der Hafenstadt auszuhandeln. Im November 1973, als die Obristen eine Studentenrevolte am Polytechnio, der Technischen Hochschule von Athen, mit Panzern niederschlagen ließen, organisierten Polizisten ihm eine Eskorte, damit er trotz Ausgangssperre noch zur Beerdigung eines Gemeindemitglieds auf den Friedhof fahren konnte.

In der Spätphase der Junta habe es Anzeichen für eine Liberalisierung gegeben, berichtet Meyer, zumindest so lange, bis der Hardliner und Chef der berüchtigten Militärpolizei, Dimitrios Ioannidis, Ende 1973 das Ruder übernahm. Obwohl sich die Lage immer weiter zuspitzte und die Menschen in Athen schließlich sogar einen Angriff der Türkei befürchteten, habe er nie daran gedacht, auszureisen: „Unsere griechischen Nachbarn haben uns immer versichert: ‘Wir passen auf Euch auf und auf Eure Kinder.’“

Umso größer sei die allgemeine Freude über den Zusammenbruch des Regimes gewesen. Die Rückkehr zurück zur Demokratie im Sommer 1974 habe er empfunden wie den „Deus ex machina“ in der antiken griechischen Tragödie – wenn eine Hebemaschine plötzlich eine Gottheit auf die Bühne einschweben lässt und die Handlung eine abrupte Wendung nimmt.